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Bleiben, bis sie gehen

Begonnen von Liam, 13. Juli 2022, 10:11:34

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Liam

Vor Rücktritt von Präsident und Regierung: Protestierende in Sri Lanka halten Residenzen weiter besetzt. Parteien vereinbaren nächste Schritte

ZitatHintergrund: Chronik einer Krise

Sri Lanka ist mit Auslandsschulden in einer Gesamthöhe von 52 Milliarden US-Dollar belastet – knapp 50 Prozent davon bedingt durch den Verkauf von Staatsanleihen an private Kapitalgeber. Die Hälfte der Gesamtsumme wäre bis 2026 fällig, im laufenden Jahr wären knapp sieben Milliarden an Zinsen und Tilgung zu leisten gewesen. Nachdem im ersten Quartal die Raten noch mühsam bedient werden konnten, erklärte die Regierung am 12. April ihre Zahlungsunfähigkeit für den Schuldendienst, da die Devisenreserven aufgebraucht seien.

Der erste Gipfelpunkt der Krise lag bei der faktischen Insolvenzerklärung schon ein paar Tage zurück. Am 1. April, zusammenfallend mit einer ersten Welle von Massenprotesten, hatte Präsident Gotabaya Rajapaksa den temporären Ausnahmezustand verkündet, zwei Tage später trat die bisherige Regierung zurück. Sein älterer Bruder, Expräsident Mahinda Rajapaksa, blieb als Premier weiter im Amt. Die meisten der Ministerneubesetzungen im Anschluss waren nur kurzlebig, und da sich Teile der eigenen Partei SLPP von den Rajapaksas abwendeten, verlor diese bald darauf auch ihre bisherige Parlamentsmehrheit.

Da sich die größte Oppositionspartei SJB weigerte, unter Präsident Rajapaksa in eine neue Übergangsregierung einzutreten, war es nur der schon mehrfache Expremier Ranil Wickremesinghe, der sich schließlich als Interimskabinettschef bereit fand und am 12. Mai vereidigt wurde. Drei Tage zuvor war nach gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Loyalisten und Gegnern der Präsidentenfamilie auch Mahinda abgetreten, um seinem Bruder neuen Handlungsspielraum zu ermöglichen, was diesem letztlich aber nur zwei weitere Monate verschaffte.

Parallel dazu nahm die historische Finanz- und Versorgungskrise eine Katastrophenwendung nach der anderen. Einerseits waren durch die Pandemie die Einnahmen aus Tourismus und Arbeitsmigration weggebrochen, andererseits setzte die Regierung auf schuldenfinanzierte Großinfrastrukturprojekte. Die Protestierenden werfen ihr korrupten Autoritarismus vor. Zuletzt verschärften die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Importeinbrüche bei Weizen und Soja die Lage.

Im Juni lag die Teuerungsrate bei 54,6 Prozent. Benzin und Diesel sind nur noch an wenigen Tankstellen auf Zuteilung erhältlich, Züge und Busverbindungen sind aufgrund des Treibstoffmangels teils ausgefallen, zudem sind die Schulen geschlossen. Regierungsangestellten wurde ein arbeitsfreier Freitag verschafft, um Gemüse zur Selbstversorgung anzubauen. Das medizinische Personal hat spätestens seit April immer lauter Alarm geschlagen, weil Medikamente und Ausrüstung aufgrund nicht bezahlbarer Importe fehlen, in manchen Kliniken zum Teil nicht einmal Notoperationen mehr möglich sind.
Rund drei Monate lang haben die Entwicklungen in Sri Lanka mehr oder minder absehbar auf diesen Punkt hingesteuert: Der zuletzt immer stärker isolierte Präsident des 22 Millionen Einwohner zählenden Inselstaats, Gotabaya Rajapaksa, sah sich am Sonnabend zur Ankündigung genötigt, dass er an diesem Mittwoch offiziell seinen Rücktritt erklären werde. Nach der Erstürmung sowohl des Präsidentenpalastes als auch der privaten Residenz von Premier Ranil Wickremesinghe blieb ihm kein anderer Ausweg.

Parlamentssprecher Mahinda Yapa Abeywardena hatte noch am selben Tag einem eilig einberufenen Krisentreffen von führenden Vertretern der Parteien vorgesessen. Dabei soll es, wie inzwischen berichtet wurde, von Wickremesinghe den Vorschlag gegeben haben, sich nach Rajapaksas Machtverzicht seinerseits zum amtierenden Präsidenten bestimmen zu lassen, was eine Mehrheit der Versammelten aber kategorisch abgelehnt habe. Tatsächlich ist der vor zwei Monaten berufene Übergangspremier seit vielen Jahren Inbegriff neoliberaler Politik, im Volk ähnlich verhasst wie inzwischen die Rajapaksas. Auch politisch hat Wickremesinghe kaum noch Freunde.

Abeywardena bekräftigte zu Wochenbeginn den Fahrplan, auf den man sich bisher verständigt hat. Demnach treten an diesem Mittwoch sowohl der Präsident als auch der Premier zurück. Eine Woche später, am 20. Juli, soll das Parlament dann einen Interimsstaatschef wählen, unter dem ebenfalls konsensual eine Übergangsregierung unter einem neuen Premierminister bestimmt wird. In der einwöchigen Vakanz wird laut Verfassung Abeywardena höchster Repräsentant Sri Lankas sein. Neuwahlen zum Parlament sollen »zeitnah« organisiert werden, heißt es – noch etwas unklar blieb zunächst, ob der Übergangspräsident bis zum Ende von Rajapaksas Legislaturperiode Ende 2024 im Amt bleiben oder auch schon demnächst durch einen demokratisch legitimierten Nachfolger abgelöst werden soll.

Die Protestbewegung, die das faktische Ende der Rajapaksa-Ära erkämpft hat, gibt sich trotz dieser Ankündigungen vorsichtig. Verschiedene Anführer der Massen, die am Sonnabend den Präsidentenpalast erstürmt hatten, gaben am Montag vor einheimischen Medien an, dort und auch in der Premiersresidenz weiter auszuharren, bis die Rücktritte vollzogen seien – zu groß ist inzwischen das Misstrauen. Das illustriert auch eine Umfrage des Instituts Verité Research zur Stimmungslage der Nation. Lagen die Zustimmungswerte zur Regierung schon im Januar nur bei mageren zehn Prozent, rutschte dieser Wert bis Juni auf drei Prozent ab. Und nur zwei Prozent der Befragten konnten im Vormonat der allgemeinen Entwicklung im Land überhaupt noch etwas Positives abgewinnen – gegenüber sechs Prozent im Januar. Die Einschätzung zur wirtschaftlichen Lage sackte von minus 83 auf nun minus 96 ab, also nur wenig abseits des Negativmaximums von 100.

Wer als mögliches neues Führungsduo die Karre aus dem Dreck ziehen soll, ist noch unklar. Die vormals verfeindeten politischen Lager sind nun offenbar zu einer Zusammenarbeit auf Basis des am Wochenende erreichten Minimalkonsens bereit. Das gilt auch für Oppositionschef Sajith Premadasa, der Rajapaksa bei der Wahl im November 2019 unterlegen war. Von den 225 Abgeordneten stellt seine Samagi Jana Balawegaya (»Vereinte Volksmacht«) 54, insgesamt sind im Parlament 15 Parteien mit oft nur ein oder zwei Sitzen vertreten. Die regierende SLPP hatte eigentlich mit 145 eigenen Abgeordneten eine solide Mehrheit. 16 davon haben zuletzt eine Rücktrittsforderung an Rajapaksa unterzeichnet, insgesamt soll der Block der »Dissidenten« mindestens 47 umfassen, so die Tageszeitung The Island unter Berufung auf »Insider«.

Der noch bis vor kurzem beinahe allmächtige Familienclan, der mit einem weiteren Bruder an der Spitze des Schlüsselressorts Finanzen und einem Neffen des Präsidenten bis Anfang April die Regierungsgeschäfte kontrollierte und bis dahin direkten Zugriff auf 80 Prozent der Haushaltsmittel hatte, verfügt aber selbst abseits dieser internen Kritiker kaum noch über Rückhalt. Noch offen ist, wie sich die aktuellen Neusortierungen auf die zuletzt fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem IWF über einen Notkredit – es wäre die 17. Kreditlinie des Internationalen Währungsfonds – auswirken. Zumindest Zentralbankchef Nandalal Weerasinghe bleibt wohl im Amt.

Derweil schlug zu Wochenbeginn der Sprecher von UNICEF Sri Lanka gegenüber der australischen ABC abermals Alarm: Das Land habe in Südasien inzwischen die zweithöchsten Zahlen an unterernährten Kindern, so Bismarck Swangin. 1,7 Millionen Mädchen und Jungen seien betroffen, da 70 Prozent der Familien im Land wegen der Krise ihre Ernährung deutlich einschränken müssten. Auch das Schulessen fiel zuletzt weg.

Quelle: junge Welt
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Liam Clarence
  > Redaktion

"Nur wer gegen den Strom schwimmt gelangt zur Quelle!
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom!"


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