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Brief aus Lima

Begonnen von Martin, 10. August 2022, 10:02:04

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Martin


Hitler ist ein super Kerl. Der Steinmetz aus den Anden hat beim Umbau meines Hauses tadellose Arbeit geleistet. Andere weniger. Jesus, der Klempner, hat ein fürchterliches Chaos hinterlassen. Doch ich will nicht klagen. Was den Handwerkern hier in Peru an Theorie und Disziplin fehlt, kompensieren sie mit Einfallsreichtum.

Gemessen an der peruanischen Politik, ist meine Baustelle ein Hort der Ordnung. Ein Skandal jagt den nächsten. Presidente Pedro Castillo, ein orthodoxer Kommunist, durch eine verworrene politische Konstellation vor einem Jahr ins Amt geschwemmt, hat bisher über fünfzig Minister verheizt. Selbst für Peru ein Rekord.

Die gute Nachricht: Die Verfassung und die Institutionen, die das rechtsliberale Fujimori-Regime in den 1990er Jahren von Grund auf reformierte, sind so stabil, dass sie selbst einem Bruchpiloten wie Castillo standhalten. Seine Regierung ist derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie bislang keinen grösseren Schaden anrichten konnte. Man kann Castillo – einem Dorfschullehrer mit zweifelhaftem Diplom, der in Wahrheit sein Leben lang als Berufsgewerkschafter agitierte – bestenfalls zubilligen, dass er eher die Folge denn die Ursache einer politischen Dauerkrise ist.

Was in der Welt draussen passiert, interessiert die Menschen hier nur marginal. Vom Krieg in der Ukraine hört man so gut wie nichts. Die Nachrichten drehen sich fast ausschliesslich um nationale Themen. Was nicht heisst, dass die internationale Krise das Land verschont. Im Gegenteil. Auch hier sind die Preise für Brennstoff und vor allem für Dünger und Nahrungsmittel nach dem Russland-Embargo förmlich explodiert. Für ein Land, in dem rund ein Drittel der Bevölkerung in bitterer Armut lebt, ist das eine veritable Katastrophe.

Vom Krieg in der Ukraine hört man so gut wie nichts. Was nicht heisst, dass die Krise das Land verschont.

Schon die Corona-Massnahmen haben die Armutsquote, die zuvor bei 18 Prozent lag, praktisch verdoppelt. Monatelang hatte die Regierung das öffentliche Leben stillgelegt. Die staatlichen Schulen blieben während zweier Jahre faktisch geschlossen. Um eine Hungerrevolte zu verhindern, wurden die Pensionskassen aufgelöst. Das drastische Seuchenregime war nicht nur wirkungslos gegen das Virus – gemäss offiziellen Zahlen hat Peru die weltweit höchste Covid-Todesrate zu beklagen –, es führte das Land auch an den Rand des Ruins.

Dass der totale Zusammenbruch Peru bislang erspart blieb, hat vor allem einen Grund: Rund zwei Drittel der Wirtschaftsleistung werden über den sogenannten informellen Sektor abgewickelt und entziehen sich jeder staatlichen Kontrolle. Das Schlimmste wurde vermieden, weil sich die meisten Menschen um die Gesetze foutieren. Wo der Staat versagt, sichert die Mafia die Grundversorgung.

Die Schattenwirtschaft ist flexibel und zäh, aber wenig effizient und erst recht nicht nachhaltig. Wer sich nicht um Arbeits-, Umwelt- oder Sicherheitsauflagen zu kümmern braucht, kann zwar schnell reagieren. Doch wo die staatliche Eigentumsgarantie und der Rechtsschutz fehlen, wird nur sehr kurzfristig investiert und mit hohen Gewinnmargen kalkuliert. Das Risiko, auf der freien Wildbahn über Nacht alles zu verlieren, hat einen hohen Preis. Es gilt das Gesetz des Stärkeren.

Nach zwei Jahrzehnten Sozialismus war Peru 1990 faktisch bankrott. Die Armutsquote lag bei weit über 50 Prozent, die jährliche Inflation bei über 5000 Prozent. Eher der Not denn einer Ideologie gehorchend, privatisierte die gewählte Regierung Fujimori damals die maroden Staatsbetriebe und unterzog die Wirtschaft einer radikalen Deregulierung nach neoliberalen Rezepten. Im Fall von Peru übertraf der Erfolg alle Erwartungen. Vor allem die unteren Schichten profitierten.

Der Rückgang der Armut in den letzten dreissig Jahren ist derart augenfällig, dass ihn nicht einmal die Linken ernsthaft bestreiten. Doch gerade wegen dieses Erfolgs hassen sie Alberto Fujimori so abgrundtief: Er hat ihre Ziele erreicht, indem er das Gegenteil von dem machte, was sie predigen. Nicht mit Theorien, sondern mit Fakten. Eine grössere Demütigung ist kaum vorstellbar.

Ähnlich wie Pinochet in Chile spaltet der fujimorismo Peru in zwei unversöhnliche Lager und hat das Land in eine politische Dauerkrise gestürzt. Seit zwei Jahrzehnten versucht die Linke nichts anderes, als jede Reform zu sabotieren und zu annullieren, die irgendwie nach Fujimori riecht. Bislang erfolglos. Die katastrophalen Folgen der Covid-Massnahmen und des Russland-Embargos geben den Sozialisten nun unverhofft Auftrieb. Vielleicht führt die menschengemachte Krise aber auch zu einer heilsamen Ernüchterung. On verra. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

~~~~~~~~~
Martin Lutar

"Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit."


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