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IM KRIEGSWAHN »Permanente Auseinandersetzung«

Begonnen von Armin, 07. Oktober 2022, 17:10:38

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Armin

IM KRIEGSWAHN
»Permanente Auseinandersetzung«

Russland ruinieren, China einkreisen, die eigene Bevölkerung ins Elend stürzen. Über die Kriegsziele des Wertewestens und dessen mangelnden Realismus


uf Kriegskurs. Soldaten der 41. Panzergrenadierbrigade der Bundeswehr in Litauen, 4. September 2022


ZitatSevim Dagdelen ist Mitglied des Deutschen Bundestages und für die Fraktion der Linkspartei Obfrau im Auswärtigen Ausschuss. Der Artikel basiert auf ihrem Aufsatz »Russland ruinieren und China vernichten« in dem von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann herausgegebenen Buch »Ein willkommener Krieg?«, das gerade im Kölner Papyrossa Verlag erschienen ist.
Deutschland muss bereit gemacht werden für eine »permanente Auseinandersetzung« mit Russland und China. Hier brauche es einen Mentalitätswandel. Das forderte Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gerade erst bei den »Munich Economic Debates« von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung. In ihrem Vortrag »Die geopolitische Neuordnung der Welt – welche Rolle spielen Deutschland und Europa?« verkündete die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik des vom Bundeskanzleramt mit über 15 Millionen Euro finanzierten Thinktank, »gemeinsame Sicherheit mit Russland in Europa kann es nicht mehr geben«. Selbst wenn irgendwann die Waffen in der Ukraine schweigen würden, werde die Welt nicht zur vorherigen Ordnung zurückkehren: »Wir werden in Zukunft nicht mehr eine integrativ-korporative Ordnung gemeinsam mit Russland haben, sondern wir werden Sicherheit zu weiten Teilen in Abgrenzung von oder sogar gegen Russland aufbauen müssen. Also keine Friedensordnung mehr, sondern eine konfrontative Ordnung, eine Konfliktordnung.«¹

Deutschlands »Schlüsselrolle«

Deutschland und Europa würden in Zukunft in einer permanenten Auseinandersetzung mit Russland stehen, wahrscheinlich auch mit China, so Major weiter. Deutschland müsse sich endlich bewusst werden, dass es eine »Schlüsselrolle« für die Sicherheit Europas spiele. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz proklamierte »Zeitenwende« müsse in den Köpfen ankommen. Erfahrungsgemäß dauere so ein Mentalitätswandel etwa eine Generation, aber, so die »Sicherheitsexpertin«: »Die Zeit haben wir nicht.«

Die EU-Europäer müssten lernen, mit den Folgen des Kriegs und der Sanktionen umzugehen, dekretierte Major in München, sprich: die steigenden Energiepreise und immer neue Rekordzahlen bei der Inflation hinnehmen. »Wenn die Kosten sichtbarer werden«, drohe die Geschlossenheit des Westens verloren zu gehen, so ihre Sorge. Langfristig müsse es darum gehen, die deutsche Wirtschaft »widerstandsfähiger« zu machen, schließlich würden sich Konflikte und Chaos fortsetzen. »Das ist nicht in ein, zwei Jahren vorbei.« Tatsächlich steht im kommenden Jahr eine Rezession ins Haus, es drohen massenhafte Firmenpleiten und Jobvernichtung.

Claudia Major steht für viele, die jetzt so heftig und so laut trommeln. Die verheerenden Folgen des Wirtschaftskrieges für die deutsche Wirtschaft fechten sie nicht an. Konfrontation bleibt Programm, bloß keine Verhandlungslösung. Aktuell muss es demnach darum gehen, die wirtschaftliche und militärische Unterstützung für die Ukraine nicht abreißen zu lassen. Es sei im Sicherheitsinteresse Deutschlands, dass die Ukraine gegen Russland bestehe und dem russischen Präsidenten Putin die Grenzen aufgezeigt werden könnten, heißt es dann. Hierfür soll die Ukraine permanent militärisch aufgerüstet werden, irgendwann sei nämlich die bisherige militärische Ausrüstung aus sowjetischen Beständen »zerschossen«. Da die Waffenlieferungen der Ampel bei der Bundeswehr Lücken reißen, soll die deutsche Rüstungsindustrie sie schließen. Die Waffenschmieden sollen sich deshalb stärker an die Bedürfnisse der Ukraine anpassen und also immer schwerere Waffen produzieren. Es ist da nur noch eine Frage der Zeit, bis Deutschland Kampfpanzer liefert. Bei Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann kommt man ob dieser Aussichten aus den Champagnersausen gar nicht mehr raus.

Beklagt wird dagegen eine »gewisse internationale Indifferenz«. Allen Anstrengungen der USA, der EU und Deutschlands zum Trotz ist es nämlich nicht gelungen, Putin zum »Paria« auf der internationalen Bühne zu machen, wie es US-Präsident Joseph Biden nach dem 24. Februar als Ziel ausgegeben hat, auch nach sieben Monaten Krieg nicht. Der russische Präsident ist auch nicht isoliert, bleibt zu konstatieren. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat die Resolution, die Russland in der UNO für den Angriffskrieg verurteilt, nicht unterstützt. Die Welt sei »nicht geeint in der Verurteilung von Russland. Und ein bemerkenswert großer Teil der Welt ist nicht bereit, Russland für diesen Krieg zu bestrafen«, lautet das Lamento. Tatsächlich sind viele nicht bereit, den russischen Regelbruch zu verurteilen und verweisen auf westlichen Regelbruch und Doppelstandards. »Warum die Ukraine unterstützten, aber nicht andere?« lautet da die Frage bezüglich eines Konflikts, der in den Ländern des Globalen Südens als regionaler Konflikt der Europäer (und der US-Amerikaner) gesehen wird.

Der Ausblick auf die internationalen Beziehungen der Zukunft ist da klar und ernüchternd: Es gibt keine automatische Unterstützung für europäische oder US-Positionen. Viele Länder haben sich nicht klar positioniert und werden sich auch nicht klar positionieren. Zwei Länder werden hier vor allem in den Blick genommen: China und Indien. Diese beiden werden darüber bestimmen, ob Russland doch noch zum »Paria« werde, oder eher nicht. »Gerade sieht es eher nicht danach aus«, lautet die realistische Bestandsaufnahme.

Geopolitisch müsse es demnach darum gehen, »wie die EU gezielt Länder einbinden kann, die Russland eigentlich als seine Einflusssphäre begreift«. Um bestehen zu können, brauche es »Anpassungen«, heißt es dann. Die Frage sei, ob Europa »ernsthaft investieren« werde in seine Handlungsfähigkeiten und militärische Verteidigung. Die Streitkräfte müssten »in die Lage versetzt werden, dass Regeln durchgesetzt werden können«.

NATO-Neuaufstellung

Tatsächlich hat die NATO auf ihrem Gipfel in Madrid im Sommer eine »Neuaufstellung« auf den Weg gebracht. Jeder einzelne Mitgliedstaat müsse demnach »mehr machen«, Deutschland das NATO-Ziel von zwei Prozent Militärausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt erreichen und halten. Mit dann rund 75 Milliarden Euro im Jahr wäre die BRD ausgabenstärkste Militärmacht in Europa. Das einmalige »Sondervermögen« von 100 Milliarden Euro für Anschaffungen wie nuklearwaffenfähige Kampfjets, Hubschrauber und bewaffnete Drohnen »wirkt da gar nicht mehr so groß«, meint dazu die Süddeutsche Zeitung (20. September 2022). »Wir sollten den Anspruch haben, selbst zu spielen und kein Spielball zu sein«, lautet der neue deutsche Kampfauftrag. Und die Zeit ist knapp.

Der NATO-Gipfel in Madrid im Juni 2022 war in der Tat eine Zäsur. Zum ersten Mal wird Russland im neuen Strategischen Konzept der NATO als Feindstaat, als die »größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euroatlantischen Raum« bezeichnet. Und von der Volksrepublik China gingen »systemische Herausforderungen für die euroatlantische Sicherheit« aus. In Europa werden zusätzliche NATO-Erweiterungen ins Visier genommen, explizit die Ukraine, Georgien und Bosnien-Herzegowina. Zugleich will sich die NATO nicht auf den euroatlantischen Raum begrenzen, in den Vordergrund rückt der Einsatz im Indopazifik. Denn als besondere Bedrohung gilt der NATO eine »immer enger werdende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation«. Nicht zuletzt deshalb wird der erbarmungslose Wirtschaftskrieg mit immer härteren Sanktionen gegen Moskau geführt.

Das große Problem für die EU-Mitgliedstaaten und insbesondere Deutschland ist dabei allerdings, dass sie mit ihrem Wirtschaftskrieg nicht »Russland ruinieren«, wie es die Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock als Maxime ausgegeben hat, sondern vor allem Millionen Menschen in Deutschland und Europa.

Durch die Auseinandersetzung mit Russland steht das gesamte deutsche Produktionsmodell, das auf relativ preiswerten und langfristig sicheren Energielieferungen basiert, zur Disposition. Verantwortlich dafür ist allerdings nicht Moskau, wie die Bundesregierung gerne weismachen möchte, sondern die Ampelkoalition, die Millionen Menschen hierzulande wirtschaftlich zugrunde richtet und gerade die Ärmsten dazu verpflichten möchte, ihren Beitrag zu leisten, um einen vermeintlichen Sieg gegen Russland erringen zu können. Durch die Sanktionspolitik ist bereits jetzt der deutsche Exportüberschuss dahin, und der Euro stürzt gegenüber dem Dollar ab, so dass sich die Energierechnungen weiter verteuern. Während aber Millionen Menschen in Deutschland und Europa der soziale Ruin ins Haus steht, hat Russland durch die höheren Energiepreise auch bei etwa einem Drittel weniger Energielieferungen in die EU ein Drittel mehr verdient.

»Proxy-Wars«

Während Indien, China und weitere asiatische Staaten verstärkt russische Energie teilweise zu einem Abschlagspreis importieren, muss die EU auf teureres und klimaschädlicheres Frackinggas aus den USA setzen, wofür zudem die Infrastruktur noch nicht bereit steht. Zugleich führt die NATO nunmehr offen einen »Proxy War«, einen Stellvertreterkrieg, in der Ukraine gegen Russland. Mit beträchtlichen Waffenlieferungen aus den NATO-Staaten wie auch üppigen Finanzhilfen für Kiew soll der Sieg gegen Russland erreicht werden. Das Führen von Stellvertreterkriegen ist dabei kein Phänomen des Jahres 2022. Der Journalist Tom Stevenson stellt in seinem Überblick »Das Zeitalter der Stellvertreterkriege« in Le Monde diplomatique (7. Januar 2021) zu Recht fest: »Seit Beginn dieses Jahrhunderts gibt es kaum einen Krieg, der ohne ›Proxies‹, also ohne Stellvertreter vor Ort ausgekommen wäre. Überall auf der Welt – ob in Südamerika, in Zentralafrika, im Nahen Osten oder in Osteuropa – verfolgen kriegführende Staaten ihre Ziele mit Hilfe lokaler Bündnispartner.«

Der Versuch, Russland mit einem globalen Wirtschaftskrieg und einem Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu schlagen und zu ruinieren, zielt nicht nur auf Russland selbst, sondern in letzter Instanz auf den neuen Hauptfeind China. Ist Russland einmal aus der Allianz mit China herausgebrochen, wird sich Beijing kaum mehr im Indopazifik behaupten können, so das Machtkalkül der NATO. Zudem soll China durch eine Allianzbildung der NATO mit asiatischen Staaten bekämpft werden. Dabei setzt die Militärallianz insbesondere auf die »AP4« – die »Asia-Pacific Four« (Australien, Japan, Südkorea und Neuseeland) –, um sie gegen Peking in Stellung zu bringen. Ziel ist nicht die direkte Inkorporierung in die NATO. Vielmehr geht es um enge Militärabkommen mit den »AP4«, damit diese Staaten ertüchtigt werden, den Konflikt mit China stellvertretend für die USA und die europäischen NATO-Mitglieder zu führen.

Insbesondere im Fall von Japan zeichnet sich aber bereits jetzt ab, dass die Kombination aus exorbitant steigenden Militärausgaben – seit 2015 um über 25 Prozent auf 54 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 und einer Ankündigung, sie in den nächsten fünf Jahren auf mehr als 100 Milliarden Dollar nahezu verdoppeln zu wollen – einer Beteiligung am Wirtschaftskrieg gegen Russland wie auch ersten Sanktionen gegen China geeignet ist, die japanische Wirtschaft zu zerstören. Der Yen stürzt regelrecht ab. Die japanische Währung ist auf dem niedrigsten Stand seit 1998. In rasantem Tempo verarmen weitere Bevölkerungskreise. Japan wird zum Niedriglohnland. »Ein in Tokio ansässiger Softwareingenieur ist jetzt 30 Prozent billiger als einer in Vietnam, ganz zu schweigen vom Silicon Valley«, feierte das Handelsblatt am 28. Juni 2022. So zieht der Weltwirtschaftskrieg wie der Stellvertreterkrieg gegen Russland unmittelbar gar nicht beteiligte Länder mit in den Abgrund.

Abnutzungskrieg gegen Russland

Es geht der NATO offenbar nicht um irgendeine Art von Verständigung und Frieden zwischen der Ukraine und Russland – und auch Claudia Major von der SPW hat darauf bei ihren Ausführungen über die Rolle Deutschlands und Europas bei der geopolitischen Neuordnung der Welt keinen Gedanken verschwendet. Es geht darum, einen Verständigungsfrieden zu torpedieren.

Der Krieg in der Ukraine soll als Abnutzungskrieg Russland in die Knie zwingen und offenbar bis zum letzten ukrainischen Soldaten geführt werden. Waffen, Waffen, immer mehr Waffen, so das Mantra bei Major in München wie auch – allen voran – bei den Grünen mit ihrer neuen Liebe zu deutschen Panzern. Russland soll, ja muss militärisch besiegt werden. Diese Strategie ist aus zwei Gründen töricht und unverantwortlich: Erstens wird die Atommacht Russland kaum bereit sein, in einem Konflikt, den sie aus ihrer Sicht aus existentiellen Sicherheitsinteressen führt, aufzugeben, bevor dieses Ziel erreicht ist. Mit jedem Tag und jeder weiteren Waffenlieferung steigt daher die Gefahr der Ausweitung des Kriegs bis hin zum dritten Weltkrieg und der atomaren Zerstörung Europas. Zweitens ist es zynisch, die Ukraine in einen langwierigen Stellvertreterkrieg zu schicken und die Menschen dort für eigene geopolitische Interessen auf dem Schlachtfeld zu opfern.

Der US-amerikanische Starökonom und UN-Sonderberater Jeffrey Sachs warnte bereits am 1. April im Interview mit der Welt vor der US-Strategie, die auf einen jahrelangen Stellvertreterkrieg in der Ukraine mit Tausenden von Toten hinauslaufe. Auf die Frage, ob Energiesanktionen die richtigen Maßnahmen seien, Putin zum Einlenken zu bewegen und den Ukraine-Krieg zu beenden, antwortete Sachs: »Was den Ukraine-Krieg beenden könnte, sind die Angebote, die Präsident Wolodimir Selenskij Russland vor den Verhandlungen in Ankara (...) gemacht hat. Eine neutrale Ukraine, Autonomie für den Donbass und die Bereitschaft, den Krieg am Verhandlungstisch zu beenden; das sind Grundlagen für einen Frieden. Die Europäische Kommission, Deutschland und die anderen EU-Länder sollten sich jetzt darauf konzentrieren, eine schnelle Verhandlungslösung zu fördern. Es wird ständig über Sanktionen oder militärische Hilfen geredet, aber nicht genug darüber, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte.«

Wer auch immer solche Vorschläge unterbreitet, wird lächerlich gemacht und dem Spott ausgesetzt. So ist es jüngst dem Trigema-Chef Wolfgang Grupp ergangen, weil er Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten gefordert hat. »Ich verstehe nicht, dass man 20 Jahre mit Herrn Putin bestens befreundet ist, sich 100 Prozent abhängig macht und innerhalb von zwei Monaten ist man Todfeind! Das gibt es nicht. Da muss schon länger etwas geschehen sein! Ich behaupte, dass der Amerikaner im Hintergrund alles steuert, damit er alleine eine Weltmacht bleibt.« Die USA, so der deutsche Unternehmer, seien »der einzige Gewinner an diesem Krieg«. Es findet sich in der Regel rasch ein »Experte« einer »Denkfabrik«, der dann mit dem Vorwurf der »Verschwörungstheorie« jede Diskussion darüber totzuschlagen versucht.

Nicht anders ist es dem Elektroautobauer Elon Musk ergangen, als er am Wochenende ein Szenario zum Ende des Kriegs vorgestellt hat. Der US-Milliardär hatte einen neutralen Status der Ukraine, den Verzicht auf die Halbinsel Krim und Referenden unter UN-Aufsicht zur staatlichen Zugehörigkeit der russisch kontrollierten Gebiete im Donbass skizziert. Einen Sieg der Ukraine im laufenden Krieg hält Musk wegen der dreimal höheren Bevölkerungszahl Russlands für unwahrscheinlich. Aufgrund der hohen Opferzahlen sei ein »totaler Krieg« auch wenig erstrebenswert. In Kiew wie in deutschen Redaktionsstuben wurde Musk attackiert und als neuer Feind der Ukraine gebrandmarkt, da half es auch nichts, dass er schon seit Kriegsbeginn hilft, mit seinen privaten Starlink-Satelliten die Kommunikation des ukrainischen Militärs abzusichern.

Nachdem der Publizist Richard David Precht gefordert hatte, einzelne NATO-Staaten sollten – als Einstieg in eine mögliche Verhandlungslösung – Russland garantieren, dass die Ukraine nicht in das Bündnis aufgenommen werde, konterte SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach freimütig mit der Erklärung des Kriegszustandes: »Mal ehrlich: Was sollen denn jetzt Kniefälle vor Putin bringen? Wir sind im Krieg mit Putin und nicht seine Psychotherapeuten. Es muss weiter konsequent der Sieg in Form der Befreiung der Ukraine verfolgt werden. Ob das Putins Psyche verkraftet, ist egal.«

Wer sich für eine Verhandlungslösung und einen sofortigen Stopp des Wirtschaftskrieges gegen Russland sowie des Stellvertreterkrieges ausspricht, der wird öffentlich als Putin-Unterstützer diffamiert. Diese Diffamierung aller Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner ist Teil einer immer heftiger werdenden Kriegspropaganda, an der sich sowohl die Regierungsparteien wie auch die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien beteiligen. Die Erzeugung eines inneren Militarismus soll den äußeren Militarismus begleiten, um Zustimmung zu dieser ökonomischen Selbstamputation zu erzeugen und jeden Widerstand gegen die wachsende Weltkriegsgefahr im Keim ersticken.

Kriegsmüdigkeit organisieren

Bei diesem Versuch, eine kollektive Kriegshysterie zu erzeugen, will auch die Opposition nicht abseits stehen. So twitterte der Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag,
Friedrich Merz, am 16. Juli 2022: »Rechnet die Bundesregierung mit einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung? Wenn das so ist, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zum Verrat an der #Ukraine. Wer aber die Ukraine verrät, der verrät auch unsere #Freiheit und unsere Demokratie.«

Was überrascht, ist nicht nur die offen zur Schau gestellte Kriegsbereitschaft, sondern die hohe moralische Warte, von der aus man spricht. Die NATO ist keineswegs das Bündnis der Demokratien, das sie als Selbstbild vor sich herträgt. Militärputsche in Mitgliedstaaten waren in der Vergangenheit so wenig ein Hindernis für die Mitgliedschaft wie das heutige Abdecken der Südflanke des Militärpakts durch Erdogans Türkei. Und nicht zu vergessen: Nicht nur Mitglieder des selbsterklärten Verteidigungsbündnisses wie die USA haben in aller Welt völkerrechtswidrige Kriege wie im Irak 2003 mit hunderttausenden Toten geführt. Die NATO selbst hat 1999 Jugoslawien überfallen, ab 2001 einen 20 Jahre währenden blutigen Krieg um geopolitische Interessen am Hindukusch geführt und nicht zuletzt mit einer Intervention das nordafrikanische Land Libyen völlig zerstört und in Teilen islamistische Terrormilizen an die Macht gebracht. Doch die Politik der doppelten Standards gehört zur Methode, um hierzulande bei der Bevölkerung keine Kriegsmüdigkeit aufkommen zu lassen.

Das Problem der Kriegsparteien im Bundestag ist, dass dieser Krieg zum ersten Mal die eigene Bevölkerung direkt trifft und eine weitere Kriegsbeteiligung nichts anderes als eine Verelendung von Millionen Menschen hierzulande bedeutet, während die Reichen immer reicher werden und die Aktionäre der deutschen Rüstungskonzerne jubeln.

Kriegsmüdigkeit ist kein Makel, sondern eine moralische Pflicht aus wohlverstandenem Eigeninteresse, für die kriegsbesoffenen deutschen »Eliten« nicht seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Zum Sieg der deutschen Frauenfußballmannschaft gegen Finnland bei der EM am 16. Juli twitterte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ihrem finnischen Amtskollegen zu: »Sorry, lieber @Haavisto, dass die @ DFB_Frauen heute Abend bei #FINGER erneut so effizienten Fußball dargeboten haben. Aber bald spielen wir ja gemeinsam im Team NATO. Ich freue mich jetzt aufs Viertelfinale! #WEURO2022«.

Während sich die deutsche Außenministerin im »Team NATO« aufs »Endspiel« vorbereitet, gilt es, den Widerstand zu organisieren gegen diejenigen, die am Ende in einen Weltkrieg stolpern und nicht Russland, sondern uns alle ruinieren werden, wenn wir ihnen nicht in den Arm fallen.

Quelle: Sevim Dagdelen via junge Welt
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   Armin Scheider
      > Journalist

Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen,
damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.


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