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Zusammenfassung

Autor Armin
 - 22. August 2022, 07:07:27
Neue Metro in Athen soll alternatives Viertel dem bürgerlichen Lager öffnen. Projektmanager Karamanlis weiß, wie man Milliarden versenkt



Polizeigewalt gegen Anwohner Exarchias, die den Bau der Metro verhindern wollen (9.8.2022)


Athen baut eine neue Untergrundverbindung. Spätestens ab 2030 soll die Metro Nummer 4 in zehn Metern Tiefe einige der belebtesten Viertel der griechischen Hauptstadt verbinden und vielleicht sogar dabei helfen, den ewigen Fahrzeugstau im Zentrum rund um die Universität und das Parlament ein bisschen aufzulösen. Höchst kontrovers ist allerdings die Entscheidung des zuständigen Ministeriums für Infrastruktur, auch im Studentenviertel Exarchia für eine Haltestelle zu sorgen.

Treffpunkt für Anarchisten

Das ehemals brave bürgerliche Quartier am Fuß des Strefi-Hügels war zumindest in den vergangenen zehn Jahren Sammelpunkt und Lebensraum für Anarchisten und militante Gegner des »Systems«. Das »Ghetto«, wie Strukturminister Konstantinos Karamanlis die mit Graffiti bemalten neoklassizistischen Häuserzeilen abschätzig nannte, stand für Antikapitalismus und physische Distanz zur Bourgeoisie. Die »Astiki Taxi«, das Bildungs- und Kommerzbürgertum Athens, ist vor allem im Nachbarviertel zu Hause, in Kolonaki, wo der Schoppen Bier gleich doppelt soviel kostet wie in einer der Kaffee- und Schnapsbuden rund um die »Platia Exarchion«.

Besonders dieser Exarchia-Platz, ein kleiner Park mit Bänken, war Politikern aller Farben bis hinauf in die »Bouli«, das griechische Parlament, ein Dorn im Auge. Meist dicht besetzt von Punks, Händlern aus Afrika, fröhlichen Raki- und Haschkonsumenten, bot der Platz unter dem Hügel den absoluten Kontrast zum geschniegelten Boutiquenquartier Kolonaki. Doch nun pflanzten die Planer eine Haltestelle der Linie 4 mitten hinein in diesen Mikrokosmos. Das besondere Nachtleben rund um die Platia dürfte damit der Vergangenheit angehören.

Um das Viertel zurück in eine womöglich brave Bürgerlichkeit zu führen und die auf Dauer zu gewährleisten, ließ die Regierung des rechten Premiers Kyriakos Mitsotakis im Frühjahr die uniformierte Spezialtruppe MAT antreten und einige feine, von den Anarchos seit Jahren besetzte Villen räumen. Unter ihnen ein zweistöckiges Gebäude, in denen sich die jungen Systemgegner zum Kaffee und zum Bier trafen – die schwarz-rote Fahne zeigte selbst den US-amerikanischen Touristen im Familienhotel »Exarchion«, wer in dieser Straße das Sagen hatte. Inzwischen steht das Haus wieder leer, auf dem Dachgarten verdorren die Pflanzen in ihren Kübeln – so wie es sich der Minister Karamanlis offenbar auch von der linken Bewegung erhofft, die den Krawattenträgern in der »Bouli« immer mal wieder den Feierabend versaute.

Karamanlis, Mitsotakis, dessen Schwester Theodora Bakogiannis und deren Sohn und Athener Bürgermeister Konstantinos Mitsotakis waren von jeher ein eingespieltes Team, das den Umbau der Hauptstadt seit den Olympischen Spielen im Jahr 2004 vorantrieb. Das Großereignis, das in eine finanzielle Katastrophe für das Land mündete, organisierten damals Strukturminister »Kostas« als Regierungschef und »Dora« als Bürgermeisterin – jedes dritte der sündhaft teuren olympischen Werke des Stararchitekten Santiago Calatrava ist heute eine Bauruine.

Kein zweites Kolonaki

Wie »eine Lanze, mitten ins Herz gestoßen«, sei der Bau der Metrostation in der Exarchia, sagte Giorgos D., der Betreiber der Bar »Revolt«, am Mittwoch der jW. Schlechthin unmöglich sei es, die revoltierende Jugend mit dem »Schickeriavolk« von Kolonaki »auf ein und dieselbe Linie« zu bringen. Rund 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro soll der Aushub im geschichtsträchtigen Boden Athens kosten, es wird am Ende wohl doppelt oder dreimal soviel sein, wie Kenner des griechischen Strukturwesens schätzen. Und mit Karamanlis ist ein Minister zuständig, der spätestens seit der Olympiade weiß, wie man Milliardensummen versenkt.

Die Meinung der unmittelbar Betroffenen ist indes geteilt. »Klar ist es gut, dass eine Metrolinie Verkehrsentlastung bringt«, sagte »Exarchion«-Hotelier Eftychios P. am Donnerstag der jW. »Andererseits steht fest, dass sehr viele Bewohner des Viertels mit dieser Station nicht einverstanden sind.« Die Regierung legte den Beginn der Bauarbeiten vorsichtshalber in den Monat August – in diesen Tagen erholen sich selbst härteste Kapitalismusfeinde lieber am Strand.

Quelle: junge Welt