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Zusammenfassung

Autor Armin
 - 25. Oktober 2022, 09:21:55
RÜSTUNG GEFORDERT
Israel bleibt auf Distanz

Auch wenn Kiew wirbt und drängt: Tel Aviv liefert keine Waffen. Aber der Ton wird schärfer


Die Rede des ukrainischen Staatschefs Wolodimir Selenskij in der Knesset wird in Tel Aviv auf einer Demo übertragen (20.3.2022)

ZitatHintergrund: Rückkehrchance für Netanjahu?

Am 1. November wird in Israel zum fünften Mal seit 2019 ein neues Parlament gewählt. Das war nötig geworden, weil zwischen den acht Parteien der seit dem 13. Juni 2021 regierenden Koalition kaum noch Einigkeit aufrechtzuerhalten war und Abgeordnete mehrerer Regierungsparteien die Seite wechselten.

Wie es nach dem 1. November weitergehen könnte, ist ungewiss. Nach den meisten Umfragen entfallen auf die Parteien der gescheiterten Koalition 56 und auf den rechten Block, der traditionell den früheren langjährigen Premier Benjamin Netanjahu unterstützt, 60 der insgesamt 120 Mandate in der Knesset. Entgegen einer sogar in Israel verbreiteten Annahme bräuchte Netanjahu zwar eine einfache Mehrheit in der entscheidenden Abstimmung, aber nicht unbedingt mindestens 61 Abgeordnetenstimmen. Naftali Bennett zum Beispiel wurde 2021 bei einer Enthaltung mit 60 gegen 59 Stimmen Premierminister. Eine solche Chance besteht für Netanjahu allerdings aufgrund der bisherigen Prognosen noch nicht.

Seit der vorigen Wahl am 23. März 2021 haben sich mehrere gewichtige Veränderungen in der Parteienlandschaft ergeben. Bennetts Partei Jamina (Die Rechte), eine Abspaltung des von Netanjahu geführten Likud, hat sich praktisch aufgelöst. Innenministerin Ajelet Schaked, die nach Bennett die zweitwichtigste Person der Jamina war, hat die Führung der kleinen Rechtsaußenpartei Habajit Hajehudi (Das jüdische Haus) übernommen, die es nach allen Prognosen nicht in die Knesset schaffen wird. Die Partei »Blauweiß« von Verteidigungsminister Benjamin Gantz hat sich mit Tikwa Chadascha (Neue Hoffnung), die ebenfalls hauptsächlich vom Likud herkommt, zum Bündnis Nationale Einheit zusammengeschlossen. Die Partei der äußersten Rechten, die Religiöse Zionistische Partei, wird voraussichtlich ihre Abgeordnetenzahl von sechs auf 13 mehr als verdoppeln können.
Trotz unaufhörlichen dreisten Drängens der ukrainischen Regierung hat Israel seine politische Entscheidung bestätigt, dem Land keine Waffen zu liefern. Aber sowohl der geschäftsführende Premierminister Jair Lapid als auch Oppositionsführer Benjamin Netanjahu haben in den vergangenen Tagen unverbindlich angedeutet, dass sie diese Haltung vielleicht »überdenken« und »mehr für die Ukraine tun« könnten, falls sie die am 1. November stattfindende Neuwahl des Parlaments gewinnen.

Vom ersten Kriegstag an forderte die Regierung in Kiew die Lieferung israelischer Waffen und Verteidigungssysteme. Eine zentrale Rolle spielt dabei Präsident Wolodimir Selenskijs ständige Hervorhebung, dass er »auch Jude« sei, die aber in Israel keinen großen Eindruck macht. Seine Videoansprache an das israelische Parlament am 20. März, das sich zu diesem Zeitpunkt in einer Sitzungspause befand und darauf auch nicht verzichten wollte, bestand hauptsächlich aus Gleichsetzungen und Parallelen zwischen den Leiden der Juden während des Zweiten Weltkriegs und der Situation der ukrainischen Bevölkerung heute sowie zwischen dem Deutschen Reich unter der Naziherrschaft und dem gegenwärtigen Russland. Der ukrainische Präsident schloss mit den Sätzen: »Man könnte fragen, warum wir von euch keine Waffen bekommen oder warum Israel keine starken Sanktionen gegen Russland verhängt.« Aber das sei Israels eigene Entscheidung. »Die Ukrainer haben ihre Wahl vor 80 Jahren getroffen: Sie retteten Juden. Volk von Israel, heute steht ihr vor einer solchen Wahl.«

In vielen Ländern eilt die ukrainische Regierung mit ihrem speziellen absolut undiplomatischen Stil der wüsten Beschimpfungen, Geschichtsfälschungen und »moralischen« Erpressungen von Erfolg zu Erfolg. Israel gehört nicht zu diesen Ländern. Dort kam auch nicht gut an, dass Selenskijs Bürochef Andrij Jermak am vorigen Donnerstag eine Videokonferenz mit »Führern jüdischer Organisationen« in aller Welt und »prominenten russischsprechenden Israelis« inszenierte, um sie dazu aufzufordern, in der Frage der Waffenlieferungen Druck auf Israel auszuüben. Sie hätten die Kraft, Israels Politik zu beeinflussen, ermunterte sie Jermak, der auf einen jüdischen Vater verweisen kann. Man müsste und sollte diesen Punkt nicht erwähnen, wenn er nicht fester Bestandteil der ukrainischen »Taktik« wäre.

Am vorigen Dienstag hatte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba der Regierung in Jerusalem eine offizielle Wunschliste zur Luftverteidigung übermittelt, auf der alle israelischen Abwehrsysteme standen. Darunter war mindestens ein System, das so neu ist, dass es noch nicht einmal in Israel eingesetzt wird. Auch die Forderung nach israelischen Ausbildern, ohne die eine Lieferung der komplizierten, zum Teil nur miteinander kompatiblen Systeme keinen Nutzen hätte, fehlte nicht. Einen Tag später bekräftigte der israelische Verteidigungsminister Benjamin Gantz, dass Israel nicht die Absicht habe, der Ukraine Waffen zu liefern, um ihr Kriegshilfe gegen Russland zu leisten. Dafür seien »vielfältige operative Überlegungen« ausschlaggebend, die der Minister aber nicht konkret erklärte.

Bei einem Treffen mit den Botschaftern der EU-Länder in Israel ebenfalls am vorigen Mittwoch berichtete Gantz aber auch, dass Israel bereit sei, der Ukraine ein maßgeschneidertes Frühwarnsystem zu liefern, und Kiew um die Übermittlung der dafür notwendigen Daten gebeten habe. Kiew wies diese Idee jedoch rundum zurück. Das Angebot sei »nicht mehr relevant«, kommentierte der ukrainische Botschafter in Tel Aviv und wiederholte den Wunsch nach sämtlichen israelischen Systemen gegen Luftangriffe. Tatsächlich würde ein Frühalarm, der weder mit Abwehrsystemen noch mit einem landesweiten Netz bevölkerungsnaher Bunker verbunden ist, der Ukraine wenig helfen.

Warum Israel der Ukraine keine Waffen liefern will, sondern sich auf humanitäre Hilfe beschränkt, wird in den entsprechenden Erklärungen der Politiker niemals mit Argumenten begründet. Wichtig ist sicher, dass Israel seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 außerordentlich gute Beziehungen zu Moskau hatte und diese nicht völlig ruinieren will.

Für Russlands Präsident Wladimir Putin schien ein freundschaftliches Verhältnis zu Israel nicht nur »Staatsräson«, sondern auch ein tiefverwurzeltes persönliches Bedürfnis zu sein. Das ist zugleich für Israel ein wichtiger Punkt, auf den der zionistische Staat nicht ohne Not verzichten will. Die unfallfreie Regulierung der widersprüchlichen Interessen beider Staaten in Syrien ist dabei nur einer unter mehreren maßgeblichen Aspekten. Das beinhaltet nicht zuletzt, dass Russland die ständigen israelischen Luftangriffe auf die legendären »iranischen Stellungen«, aber auch auf Positionen der syrischen Streitkräfte toleriert. Zusätzlich gehen die israelischen Medien sogar davon aus, dass Russland Teile seines Luftabwehrsystems aus Syrien entfernt und in die Ukraine verschoben habe.

Kritiker der israelischen Zurückhaltung beschreiben diese oft als »Neutralität«. Das geht aber an der Realität eindeutig vorbei. Schon Lapids Vorgänger Naftali Bennett, der Putin am 5. März als erster ausländischer Regierungschef seit dem 24. Februar besuchte – übrigens nach glaubhaften Berichten und unwidersprochen aufgrund einer Bitte Selenskijs –, hätte zwar gern einen raschen Waffenstillstand und direkte Verhandlungen zwischen den Kriegsgegnern vermittelt, äußerte sich aber nicht völlig neutral. Seit Lapid, der der liberalen Mitte zuzuordnen ist, seit dem 1. Juli geschäftsführend als Premierminister amtiert, hat sich der offizielle Ton Israels gegenüber Moskau deutlich verschärft. Lapid betont immer wieder die Solidarität mit der Ukraine und wirft Russland Kriegsverbrechen vor.

Quelle: junge Welt