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Zusammenfassung

Autor Bastian
 - 18. Oktober 2022, 08:42:40
Der Kampf um die Ukraine gerät ausser Kontrolle

Die USA und Russland müssen dringend aufeinander zugehen. Der Lehrmeister heisst John F. Kennedy.


Handeln nach eigenem Gutdünken: US-Präsident Kennedy in Fort Stewart, Georgia, 1962.

Der ehemalige nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, bezeichnete die Ukraine als «geopolitischen Dreh- und Angelpunkt» Eurasiens, der sowohl für die USA als auch für Russland von zentraler Bedeutung ist. Da Russland seine lebenswichtigen Sicherheitsinteressen in dem aktuellen Konflikt auf dem Spiel sieht, eskaliert der Krieg in der Ukraine rasch zu einem nuklearen Showdown. Sowohl die USA als auch Russland müssen dringend Zurückhaltung üben, bevor es zur Katastrophe kommt.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts konkurriert der Westen mit Russland um die Krim, genauer gesagt um die Seemacht im Schwarzen Meer. Im Krimkrieg (1853–1856) eroberten Grossbritannien und Frankreich Sewastopol und vertrieben Russlands Marine vorübergehend aus dem Schwarzen Meer. Der aktuelle Konflikt ist im Grunde der zweite Krimkrieg. Diesmal versucht ein von den USA geführtes Militärbündnis, die Nato auf die Ukraine und Georgien auszudehnen, so dass fünf Nato-Mitglieder das Schwarze Meer umschliessen würden.

Am Rand eines Atomkriegs

Die USA betrachten jedes Eindringen von Grossmächten in die westliche Hemisphäre als direkte Bedrohung der amerikanischen Sicherheit, was auf die Monroe-Doktrin von 1823 zurückgeht, in der es heisst: «Wir schulden es daher der Aufrichtigkeit und den freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und diesen [europäischen; Red.] Mächten, zu erklären, dass wir jeden Versuch ihrerseits, ihr System auf irgendeinen Teil dieser Hemisphäre auszudehnen, als gefährlich für unseren Frieden und unsere Sicherheit betrachten.»

1961 marschierten die USA in Kuba ein, nachdem der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro die Sowjetunion um Unterstützung gebeten hatte. Die USA waren nicht sonderlich an Kubas «Recht» interessiert, sich einem beliebigen Land anzuschliessen – ein Anspruch, den die USA in Bezug auf das angebliche Recht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt erheben. Die gescheiterte US-Invasion von 1961 führte 1962 zu der Entscheidung der Sowjetunion, offensive Atomwaffen auf Kuba zu stationieren, was wiederum zur Kubakrise führte, die sich in diesem Monat genau zum 60. Mal jährt. Diese Krise brachte die Welt an den Rand eines Atomkriegs.

Es ist notwendig, auf den Entwurf des Friedensabkommens von Ende März zurückzukommen.

«Wo sind diese Garantien?»

Doch die Rücksicht der USA auf ihre eigenen Sicherheitsinteressen im nord- und südamerikanischen Raum hat sie nicht davon abgehalten, Russlands zentrale Sicherheitsinteressen in dessen Nachbarschaft zu verletzen. Mit der Schwächung der Sowjetunion kam die politische Führung der USA zu der Überzeugung, dass das US-Militär nach eigenem Gutdünken handeln könne. 1991 erklärte der Unterstaatssekretär für Verteidigung, Paul Wolfowitz, General Wesley Clark, dass die USA ihre Streitkräfte im Nahen Osten einsetzen könnten, «und die Sowjetunion wird uns nicht aufhalten». Amerikas nationale Sicherheitsbeamte beschlossen, die mit der Sowjetunion verbündeten Regime im Nahen Osten zu stürzen und in die Sicherheitsinteressen Russlands einzugreifen.

1990 sicherten Deutschland und die USA dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu, dass die Sowjetunion ihr eigenes Militärbündnis, den Warschauer Pakt, auflösen könne, ohne befürchten zu müssen, dass sich die Nato nach Osten ausdehnen und die Sowjetunion ersetzen würde. Auf dieser Grundlage erhielten sie 1990 Gorbatschows Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung.

Nach dem Untergang der Sowjetunion unterstützte Präsident Bill Clinton die Nato-Osterweiterung und machte damit einen Rückzieher. Der russische Präsident Boris Jelzin protestierte lautstark, konnte aber nichts dagegen unternehmen. George Kennan, Amerikas Vordenker in Sachen Russlandpolitik, erklärte, die Nato-Erweiterung sei «der Beginn eines neuen Kalten Krieges».

Unter Clinton wurde die Nato 1999 auf Polen, Ungarn und die Tschechische Republik ausgedehnt. Fünf Jahre später, unter Präsident George W. Bush, wurde die Nato auf sieben weitere Länder ausgedehnt: die baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen), die Schwarzmeerstaaten Bulgarien und Rumänien, den Balkanstaat Slowenien und die Slowakei. Unter Präsident Barack Obama wurde die Nato 2009 um Albanien und Kroatien und unter Präsident Donald Trump 2019 um Montenegro erweitert.

Russlands Widerstand gegen die Nato-Erweiterung verschärfte sich 1999, als die Nato-Länder die Uno missachteten und Russlands Verbündeten Serbien angriffen, und verstärkte sich in den 2000er Jahren mit den von den USA gewählten Kriegen im Irak, in Syrien und Libyen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 erklärte Präsident Putin, dass die Nato-Erweiterung eine «ernsthafte Provokation darstellt, die das gegenseitige Vertrauen verringert».

Das Überleben der Welt hängt von Besonnenheit, Diplomatie und Kompromissen auf allen Seiten ab.

Putin fuhr fort: «Und wir haben das Recht, zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung? Und was ist aus den Zusicherungen [keine Nato-Erweiterung; Red.] geworden, die unsere westlichen Partner nach der Auflösung des Warschauer Paktes gegeben haben? Wo sind diese Erklärungen heute? Keiner erinnert sich mehr daran. Aber ich erlaube mir, die Zuhörer daran zu erinnern, was damals gesagt wurde. Ich möchte die Rede des Nato-Generalsekretärs Wörner in Brüssel am 17. Mai 1990 zitieren. Damals sagte er: ‹Die Tatsache, dass wir bereit sind, keine Nato-Armee ausserhalb des deutschen Territoriums zu stationieren, gibt der Sowjetunion eine feste Sicherheitsgarantie.› Wo sind diese Garantien?»

Die Ukraine gibt die Neutralität auf

Ebenfalls 2007, mit dem Nato-Beitritt von zwei Schwarzmeerländern, Bulgarien und Rumänien, richteten die USA die Black Sea Area Task Group (ursprünglich Task Force East) ein. Im Jahr 2008 verschärften die USA ihre Spannungen mit Russland noch weiter, indem sie erklärten, die Nato werde sich durch die Aufnahme der Ukraine und Georgiens bis ins Herz des Schwarzen Meeres ausdehnen und damit Russlands Zugang zum Schwarzen Meer, zum Mittelmeer und zum Nahen Osten bedrohen. Mit dem Beitritt der Ukraine und Georgiens wäre Russland von fünf Nato-Staaten im Schwarzen Meer umgeben: Bulgarien, Georgien, Rumänien, der Türkei und der Ukraine.

Der prorussische Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, der das ukrainische Parlament 2010 dazu brachte, die Neutralität der Ukraine zu erklären, schützte Russland erst vor der Nato-Erweiterung um die Ukraine. Doch 2014 halfen die USA dabei, Janukowitsch zu stürzen und eine antirussische Regierung an die Macht zu bringen. Daraufhin brach der Ukraine-Krieg aus, in dessen Verlauf Russland die Krim zurückeroberte und prorussische Separatisten im Donbass, der Region der Ostukraine mit einem relativ hohen russischen Bevölkerungsanteil, unterstützte. Das ukrainische Parlament gab die Neutralität später im Jahr 2014 auf.

Die Ukraine und die von Russland unterstützten Separatisten im Donbass führen seit acht Jahren einen brutalen Krieg. Versuche, den Krieg im Donbass durch die Minsker Vereinbarungen zu beenden, scheiterten, als die ukrainische Führung beschloss, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten, in denen eine Autonomie für den Donbass gefordert wurde. Nach 2014 belieferten die USA die Ukraine mit massiven Rüstungsgütern und halfen bei der Umstrukturierung des ukrainischen Militärs, damit es mit der Nato interoperabel ist, wie die Kämpfe in diesem Jahr gezeigt haben.

Die russische Invasion im Jahr 2022 wäre wohl abgewendet worden, wenn Biden Ende 2021 auf Putins Forderung eingegangen wäre, die Nato-Osterweiterung zu beenden. Der Krieg wäre wahrscheinlich im März 2022 beendet worden, als die Regierungen der Ukraine und Russlands den Entwurf eines Friedensabkommens auf der Grundlage der ukrainischen Neutralität austauschten. Hinter den Kulissen drängten die USA und das Vereinigte Königreich Selenskyj, jede Vereinbarung mit Putin abzulehnen und weiterzukämpfen. Daraufhin brach die Ukraine die Verhandlungen ab.

Russland wird den Krieg bei Bedarf eskalieren, möglicherweise bis hin zu Atomwaffen, um eine militärische Niederlage und die weitere Osterweiterung der Nato zu verhindern. Die nukleare Bedrohung ist keine leere Drohung, sondern ein Mass dafür, wie sehr die russische Führung ihre Sicherheitsinteressen auf dem Spiel sieht. Erschreckenderweise waren auch die USA in der Kubakrise zum Einsatz von Atomwaffen bereit, und ein hoher ukrainischer Beamter forderte die USA kürzlich zu einem Atomschlag auf, «sobald Russland auch nur daran denkt, einen Atomschlag auszuführen» – sicherlich ein Rezept für den dritten Weltkrieg. Wir stehen erneut am Rande einer nuklearen Katastrophe.

Präsident John F. Kennedy lernte die nukleare Konfrontation während der kubanischen Raketenkrise kennen. Er entschärfte diese Krise nicht durch Willenskraft oder militärische Macht der USA, sondern durch Diplomatie und Kompromisse, indem er die US-Atomraketen in der Türkei abzog und die Sowjetunion im Gegenzug ihre Atomraketen auf Kuba abbaute. Im folgenden Jahr strebte er Frieden mit der Sowjetunion an und unterzeichnete den Teilvertrag über das Verbot von Atomtests.

«Kollektiver Todeswunsch»

Im Juni 1963 sprach Kennedy die wesentliche Wahrheit aus, die uns heute am Leben erhalten kann: «Vor allem müssen die Atommächte bei der Verteidigung ihrer eigenen lebenswichtigen Interessen solche Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen demütigenden Rückzug oder einen Atomkrieg zu führen. Ein solcher Kurs im Atomzeitalter wäre nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.»

Es ist dringend notwendig, auf den Entwurf des Friedensabkommens zwischen Russland und der Ukraine von Ende März zurückzukommen, das auf der Nichterweiterung der Nato beruht. Die heutige Situation kann leicht ausser Kontrolle geraten, wie es die Welt schon so oft erlebt hat – diesmal jedoch mit der Möglichkeit einer nuklearen Katastrophe. Das Überleben der Welt hängt von Besonnenheit, Diplomatie und Kompromissen auf allen Seiten ab.

Jeffrey Sachs ist Professor für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University und hat als Sonderberater für drei Uno-Generalsekretäre gearbeitet.

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Nachrichten-Portal Other News (www.other-news.info).