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Zusammenfassung

Autor Kevin
 - 16. Dezember 2022, 12:25:55
💰 ÄNDERUNGSGESETZ
EU-Geld stinkt nicht


ZitatHintergrund: Wichtiger Frontstaat

Man kann die Annäherung an eine Einigung zwischen der EU-Kommission und Polen über die Rechtsstaatlichkeit zwischen Oder und Bug natürlich allgemein damit erklären, dass sich Brüssel und die Mitgliedstaaten immer von Kompromiss zu Kompromiss hangeln und dass dies eben das Typische an EU-Politik sei. Das stimmt, erklärt die Sache aber nur zur Hälfte.

Denn mit ihrer Kritik an der Verletzung rechtsstaatlicher Standards in Polen bewegte sich auch die EU-Spitze auf dünnem Eis. Sie hat sich zwar den Rechtsstaat in ihre Grundlagendokumente geschrieben, aber die Justiz als die Sphäre des Staatshandelns, in der dieser Rechtsstaat sich zentral realisiert, bleibt im Kern eine Kompetenz der Mitgliedstaaten. Daher hat die polnische Regierung immer darauf bestanden, dass die EU ihr in die Organisation ihres Gerichtswesens – und darum ging es rechtstechnisch in den Änderungen, die jetzt wohl teilweise zurückgenommen werden sollen – nicht hereinzureden habe. Nicht völlig von der Hand zu weisen war auch die Kritik der polnischen Seite, dass der Konflikt wesentlich durch eine expansive Rechtsprechung von EU-Gerichten hervorgerufen worden sei. Insbesondere der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg (EuGH) versuche ständig, seine eigenen Kompetenzen zu Lasten der Justiz der Mitgliedstaaten auszuweiten. Das ist zweifellos so, und auch das Bundesverfassungsgericht hat hier schon mehrfach Einwände erhoben – allerdings nicht gegen Entscheidungen des EuGH, sondern sozusagen über die Bande gegen Beschlüsse der Europäischen Zentralbank. Was im Kern auf dasselbe hinausläuft: den Vorbehalt nationaler Souveränität.

Zwingen kann die EU ihre Mitgliedstaaten direkt nicht, sie hat ja keine Exekutivgewalt ihnen gegenüber; was ihr aber zu Gebote steht, ist der finanzielle Hebel. Ungarn hat das gerade zu spüren bekommen, als ihm Brüssel Zuschüsse in Höhe von knapp sechs Milliarden Euro aus diversen Strukturfonds einfror – angeblich wegen der Gefahr der Veruntreuung dieser Mittel. Eigentlich hatten es sogar über sieben Milliarden sein sollen, die Budapest vorenthalten wurden, aber als Ungarn sein Veto gegen die 18 Milliarden Euro zugunsten der Ukraine fallenließ, wurde die nicht an die Magyaren zu zahlende Summe wundersam um 1,2 Milliarden Euro geringer. Da gab es offenkundig einen Rabatt für geopolitisches Wohlverhalten.

Und das ist auch der entscheidende Punkt, warum nicht nur Polen der EU entgegenkommt, sondern auch diese Polen: Das Land ist der zentrale Frontstaat in der Auseinandersetzung mit Russland. Will Brüssel in Warschau nicht allen Einfluss an die USA verlieren, muss es sich ebenfalls bewegen und den Nikolaus spielen: mit einem Griff in den Geldsack und dem Wegstecken der Rute.
Im jahrelangen Streit um die polnische »Reform« des Justizwesens zwischen Warschau und der EU-Kommission steht offenbar ein Kompromiss bevor. Wie verschiedene polnische Medien am Mittwoch meldeten, wurde ein Neun-Punkte-Plan ausgehandelt, der etliche Maßnahmen zurücknimmt, an denen sich die Kritik der liberalen Öffentlichkeit im Lande und in den EU-Institutionen entzündet hatte. Das entsprechende Änderungsgesetz wurde in der Nacht zum Mittwoch in den Sejm eingebracht und soll möglichst noch vor Weihnachten verabschiedet werden. Ziel ist, dass die EU die für Polen eingeplanten Mittel aus dem »Wiederaufbauplan« freigibt: knapp 36 Milliarden Euro, offiziell für Projekte der Energiewende und der digitalen Transformation, davon zwei Drittel als Zuschüsse, der Rest als niedrig verzinste Kredite.

Zentraler Punkt in den jetzt angepeilten Änderungen ist, dass die Aufgaben der sogenannten Disziplinarkammer am Obersten Gericht reduziert werden. Sie ist mit Richtern besetzt, die bereits von der PiS-Regierung berufen wurden, was die Befürchtung ausgelöst hatte, ihre Urteile könnten zu politischer Maßregelung unbequemer Richter verwendet werden. Aufgelöst wird die Kammer zwar nicht – das ist das Element der Gesichtswahrung, das Brüssel der PiS zugestanden hat –, aber für Disziplinarverfahren gegen Richter ist künftig das oberste Verwaltungsgericht Polens zuständig; die Disziplinarkammer verhandelt künftig nur noch Verfahren gegen Angehörige anderer juristischer Berufe wie Anwälte und Notare.

Ganz sauber ist die vorgeschlagene Lösung verfassungsrechtlich nicht, denn Disziplinarverfahren gehören – auch wenn sie zweifellos Verwaltungsakte sind – nicht zu den in der Verfassung aufgezählten Aufgaben des Obersten Verwaltungsgerichts. Aber es ist das einzige unter den polnischen Obergerichten, gegen dessen Tätigkeit die EU und ihre Justiz bisher keine Einwände hatten. Um diese Kuh vom Eis zu bekommen, müsste also noch die polnische Verfassung entsprechend geändert werden. Da auch die Oppositionsparteien im Prinzip dafür sind, sich mit der EU zu einigen, sollte dies kein unüberwindbares Problem mehr darstellen.

Dafür tauchte an anderer Stelle überraschend eines auf. Staatspräsident Andrzej Duda kündigte am Donnerstag an, ein weiteres Element des sich abzeichnenden Deals nicht zu unterzeichnen, weil es in seine Kompetenzen als Staatsoberhaupt eingreife: die Garantie der Möglichkeit für Richter, die Rechtmäßigkeit der Berufung ihrer von der PiS berufenen Kollegen prüfen zu lassen. Denn das sei seine Sache und basta. Ob das ein abgesprochenes Manöver ist, um die Regierung guten Willen dokumentieren zu lassen, der sich anschließend an innenpolitischen Klippen bricht, müssen die nächsten Tage zeigen. Die Anträge auf solche »Unabhängigkeitstests« dürften in der Praxis ohnehin seltener werden, weil inzwischen um die 3.000 Richter in Polen ihre Berufung oder ihre gegenwärtige Position Entscheidungen des von der PiS kontrollierten Landesjustizrates (KRS oder, wie die Kritiker sagen: »Neo-KRS«) verdanken. Ihre Stimmen zählen also im Zweifel mit, solange ihre Unabhängigkeit nicht rechtsförmlich bestritten worden ist. Festgeschrieben soll dafür werden, dass der Inhalt des Urteils eines Richters kein Anlass für ein Disziplinarverfahren sein kann – damit kann die Richterschaft also weiterhin EU-Gerichte anrufen und sogenannte Vorabentscheidungsersuche über die Vereinbarkeit dieser oder jener polnischen Regelung mit EU-Recht stellen, bevor sie in dem jeweiligen Verfahren entscheiden.

Eine Niederlage auf der ganzen Linie ist der Deal mit der EU für die polnische Regierung also nicht. Gleichwohl ist die Einigung, wie sie sich jetzt abzeichnet, in erster Linie ärgerlich für den polnischen Justizminister Zbigniew Ziobro. Er war der Autor der Veränderungen, die zum Streit mit Brüssel geführt haben, und hat jetzt allen Anlass, sich um sein »politisches Lebenswerk« betrogen zu sehen. Die offene Frage ist in diesem Zusammenhang, ob er sich bei der Abstimmung über das Änderungsgesetz an die Koalitionsdisziplin hält und die 20 Abgeordneten seiner rechtsextremen Partei »Solidarisches Polen« (Solidarna Polska; SP) zustimmen lässt oder ob er die Koalition darüber platzen lässt. Die Mehrheit der regierenden Rechtskoalition will es von sich aus nicht darauf ankommen lassen: am Dienstag wies sie ein Misstrauensvotum der Opposition gegen Ziobro geschlossen zurück. Regierungschef Mateusz Morawiecki, der noch vor einigen Tagen Ziobro ein »nie dagewesenes Chaos in der Justiz« vorgeworfen hatte, sagte in der Debatte, die »Vereinigte Rechte« sei und bleibe eine Einheit. Für alle Fälle hat die PiS-Führung aber hinter den Kulissen Verhandlungen mit der um ihre politische Existenz kämpfenden »Polnischen Bauernpartei« Polskie Stronnictwo Ludowe (PSL) um eine punktuelle oder längerfristige Unterstützung aufgenommen.

Quelle: junge Welt