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Zusammenfassung

Autor Bastian
 - 02. Januar 2023, 12:42:53
Glaube und Vernunft

Zum Tod von Papst Benedikt XVI


Ein Mann der Dogmatik: Professor Joseph Ratzinger (1965)

Wer erinnerte sich nicht an die deftige Bild-Titelseite vom 20. April 2005, auch wenn er niemals eine Bild-»Zeitung« auch nur angefasst haben will: »Wir sind Papst« – einen Tag nach der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Bischof von Rom und als Benedikt XVI. zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Ein Ruck ging durch das Land, verständlicherweise, denn so richtig »deutsche« Päpste gab es bisher ja kaum. Genaugenommen waren es vielleicht nur zwei, und der letzte thronisierte 1048 kaum vier Wochen lang: Poppo von Brixen – »der Bayer« – als Damasus II. Poppo aus Niederbayern, Ratzinger aus Oberbayern. Der aus Niederbayern wurde vermutlich vergiftet; der aus Oberbayern nicht. Er starb am 31. Dezember 2022 im Alter von 95 Jahren. Allein dieses Alter ist für einen Papst fast schon ein Alleinstellungsmerkmal. Und noch mehr »unique« war sein Amtsverzicht am 28. Februar 2013. Den teilt er lediglich mit einem Kollegen aus dem 13. Jahrhundert – abgesehen davon, dass Päpste hin und wieder auch einmal aus ihrem Amt vertrieben wurden.

Bevor Ratzinger Bischof und dann auch Kardinal und als Präfekt der Glaubenskongregation schließlich sogar »Großinquisitor« wurde, lehrte er als Professor Dogmatik und Dogmengeschichte. Wer ihn lediglich aus dieser Zeit kennt, kann eine hohe Meinung von ihm haben, denn seine theologische Systematik besaß durchaus scholastischen Charme – gerade auch, weil sie sich gegen neoscholastische Engführungen wendete. Letzteres war wohl auch ein Grund dafür, dass er für »reformfreudig« gehalten und zum Konzilstheologen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) berufen wurde.

Vicarius Christi

Dass Ratzingers »Reformfreudigkeit« ihre Grenzen hatte, zeigte sich spätestens bei den Turbulenzen der 68er-Bewegung. Die empfand Ratzinger in seiner Tübinger Professur als so heftig, dass er lieber in das ruhige Regensburg umsiedelte – im Unterschied zu seinem Schweizer Kollegen Hans Küng, der nicht nur in Tübingen blieb, sondern dem aufgrund seiner antivatikanischen Kritik schließlich seine kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde. Auch als Benedikt XVI. hat Ratzinger dieses Verdikt über seinen einst freundlich verbundenen Kollegen nicht aufgehoben. Ebenfalls nicht den Entzug der Lehrbefugnis von Uta Ranke-Heinemann, die sich bei ihrer Ablehnung der sog. »Jungfrauengeburt« ausgerechnet auf eine frühe und sehr lesenswerte Schrift Ratzingers berufen konnte.

Das freilich ist in der Kirchengeschichte kein Einzelfall. Nicht nur die Revolutionen fressen ihre Kinder. Kaum ward der große Bonaventura 1257 General des Franziskanerordens geworden, da ließ er auch schon seinen ihm zuvor eng verbundenen Vorgänger, der ihn sogar für das Amt vorgeschlagen hatte, der Häresie anklagen und zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilen. Das wäre an dieser Stelle nicht unbedingt erwähnenswert, wenn Bonaventura nicht zum Helden von Ratzingers Habilitationsschrift geworden wäre. Auch die erlebte einige Turbulenzen, wurde 1955 zunächst abgelehnt und erst 1957 angenommen, nachdem einige Teile getilgt, anderes überarbeitet wurde. Die ursprüngliche Fassung erschien erst 2009. Hans Heinz Holz hat sie in dieser Tageszeitung sehr trefflich besprochen (siehe die Themaseiten in der jW vom 10.06.2010). Sein Fazit: »Ein kluges Buch, die Habilschrift. Einem gelehrten Papst muss man auf den Wegen seiner Gelehrsamkeit folgen, um zu begreifen, wohin er geht. Die Bonaventura-Monographie sagt etwas aus über die Zweigleisigkeit von Innerlichkeit der Glaubensverkündigung und Äußerlichkeit der Machtentfaltung.«

So hatte das Ratzinger auch gemeint und später als Papst auch zelebriert: Christus herrscht in der inneren Kirche und der Papst in der äußeren. Der Papst ist nicht Christus, sondern dessen für den Bau und den Erhalt der Weltkirche zuständiger »Vikar«; und der Vicarius Christi herrscht natürlich völlig absolutistisch.

Eine neue Perspektive

Hans Heinz Holz hat uns allerdings zuvor einen ganz anderen Krimi präsentiert, auch in dieser Tageszeitung (siehe die Themaseiten in der jW vom 13.08.2005). Er ging nämlich der spannenden Frage nach, warum sich Ratzinger ausgerechnet in die Sukzession der Benedikts stellte. Das herauszubekommen erforderte Detektivarbeit. Päpste wählen ihren Namen ja als Programm. Aber um welches Programm geht es bei den Benedikts? Die ersten sechs Päpste dieses Namens hatten nur sehr kurze Amtsdauern. Diese dürften als hinreichende Hinweisgebung auf die Programmatik vermutlich entfallen. Benedikt XV. (Papst 1914–1922) wurde zwar ob seiner Friedensinitiativen im Ersten Weltkrieg gelobt und bezeichnete den Krieg in einer Note vom Juli 1915 als eine »grauenhafte Schlächterei« (der Text erschien 1931 in der Weltbühne – gemeinsam mit der berühmten Kurt-Tucholsky-Glosse und ihrem Diktum »Soldaten sind Mörder«). Doch insgesamt war Benedikt XV. zu glücklos, um eine Vorbildfigur zu sein. Benedikt XIV. (Papst 1740–1758) wiederum war ein ungewöhnlich toleranter Papst der Aufklärung und damit für den »Großinquisitor« Ratzinger auch kein Vorbild. Und überhaupt: die Sukzession der Benedikts ist nicht ruhmvoll. Der neunte und der zehnte wurden abgesetzt, einen Benedikt XIII. gab es beim Kirchenschisma gleich zweimal. Was also bleibt?

Es bleibt Benedikt XII. (Papst 1334–1342). Und warum ausgerechnet der? Weil er der Nachfolger von Johannes XXII. war. Und wer hatte das Zweite Vatikanische Konzil einberufen? Johannes XXIII.! Da schließt sich ein Kreis; doch jetzt muss abgekürzt werden: Johannes XXII. ist der Papst, der im 14. Jahrhundert dafür steht, dass die Modernisten wieder in die traditionellen kirchlich-theologischen Bahnen gelenkt werden. Das macht man mit Reformen und Kompromissen, die dann wieder eingeholt werden. Johannes XXII. war der Mann für Benedikt XII. Und der war der Mann für Benedikt XVI. Und man muss natürlich wissen, dass der 1342 verstorbene Benedikt XII. nicht nur ein geschätzter Ketzerverfolger war, dem v. a. die Katharer in die Hände fielen. Er war auch ein Kirchenpolitiker, dem es um die Zentralisierung möglichst allen kirchlichen und klösterlichen Lebens ging. Wer sich von der Moderne bedroht sieht, muss auf Einheit setzen.

Benedikt XVI. konnte sich also in der Nachbarschaft zu Johannes XXIII. durchaus als ein Papst des II. Vaticanums verstehen und gleichzeitig an ein Programm anknüpfen, das seit dem 14. Jahrhundert die kuriale Politik bestimmte – noch bis in das 20. Jahrhundert hinein: am 1. September 1910 führte Pius X. den sog. »Antimodernisteneid« ein!

Benedikt XVI. war zu klug für Administrationen dieser Art. Er war auch zu klug und weitsichtig, nicht zu sehen, dass sich die Moderne nicht einfach aufhalten lässt. Und so entwickelte er ein ganz spezielles Aggiornamento. Das II. Vaticanum legte das Aggiornamento ganz pragmatisch aus als Anpassung an die heutigen Verhältnisse. Benedikt XVI. aber war auf dem Weg, die als grundsätzlich empfundene Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft, von Theologie und Philosophie, von »sakraler« Kirche und »säkularisierter« Welt in eine ganz neue Perspektive zu stellen.

Das geschah nicht in einer Enzyklika, sondern in einer Vorlesung an der Regensburger Universität am 12. September 2006. Über diese Vorlesung wurde viel diskutiert, aber nicht über ihre wirklich zentrale Aussage, die da lautet: »Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall.« Das aber heißt: Es war eigentlich gottgewollt! Eine geradezu geniale Konstruktion: Die Kirche muss sich nicht mehr gegen die Moderne verteidigen, weil dieser eine anerkannte theologische Dignität zukommt. Sie gehört in den Heilsplan Gottes! Benedikt XVI. war ein fabelhafter Apologet. Nun sind wir tot.