Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni mahnte die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl die Bundesregierung, eine aktive Rolle beim Flüchtlingsschutz in Europa einzunehmen:Pro Asyl sieht das Asylrecht existentiell in Gefahr – weltweit und in Europa. Der Vorstoß Großbritanniens, Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda abzuschieben, ist nur ein Beispiel dafür. Auch in den EU-Staaten weigern sich einige Länder, individuelles Asyl zu gewähren, andere weisen Flüchtlinge systematisch zurück, was gegen europäisches und internationales Recht verstößt, ohne dass sie Konsequenzen fürchten müssen. Die aktuellen EU-Vorhaben lassen nun befürchten, dass auch auf EU-Ebene Rechtsakte so konstruiert werden, dass sie menschenrechtswidriges Vorgehen scheinbar legitimieren. Die Bundesregierung hat versprochen »die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen (zu) beenden« (S. 141 Koalitionsvertrag). Deshalb muss sie die Entrechtung in De-Facto-Haftlagern an der EU-Grenze verhindern.
Die EU-Innenminister*innen haben sich am 10. Juni ohne deutschen Widerstand grundsätzlich darauf verständigt, ein Screening an den EU-Außengrenzen umzusetzen. Der strittige Punkt der fiktiven »Nichteinreise« wird aber noch diskutiert. Wie Berichten zu entnehmen ist, soll zeitnah im Rat eine endgültige Entscheidung darüber fallen, ob schutzsuchende Menschen während des Screeningverfahrens als eingereist gelten oder nicht. Eine solche Fiktion der Nichteinreise trifft auf erhebliche Bedenken. Insbesondere ist zu erwarten, dass eine solche Fiktion letztlich nur durch freiheitsbeschränkende bzw. -entziehende Maßnahmen durchgesetzt werden kann. Dies könnte zu systematischer De-Facto-Haft an den Außengrenzen führen. In Griechenland lässt sich dieser Ansatz schon jetzt beobachten.
Pro Asyl erwartet von der Bundesregierung und insbesondere von Innenministerin Nancy Faeser in enger Abstimmung mit der Außenministerin ein klares Dagegenhalten. Andernfalls drohen die Zustände, die aus den Lagern auf den griechischen Inseln bekannt sind, in weiteren EU-Staaten Wirklichkeit zu werden. »Von der Innenministerin und der Außenministerin hören wir bislang kein Wort der Verurteilung der Zonen der Rechtlosigkeit an Europas Grenzen. Wir erwarten, dass die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag auf europäischer Ebene vertreten werden und sich die Bundesregierung ohne Wenn und Aber für faire Asylverfahren einsetzt. Noch kann verhindert werden, dass systematische Inhaftierung durch die verpflichtende Fiktion der Nichteinreise verhindert werden«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. (...)
Auch in Deutschland werden vorgesehene Verbesserungen – etwa beim Bleiberecht – flankiert durch Verschärfungen. Pro Asyl begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht Kettenduldungen beenden will und seit fünf Jahren in Deutschland geduldeten Menschen endlich Sicherheit und Perspektive geben will. Dass aber gleichzeitig ausreisepflichtige Straftäter*innen länger in Abschiebungshaft genommen werden sollen, ist unverhältnismäßig. Denn es gibt keinerlei belastbare Untersuchungen, dass die Länder besondere Probleme hätten, Straftäter*innen abzuschieben und dass eine verlängerte Abschiebungshaft irgend etwas verbessern würde. Zudem ist rund die Hälfte aller Abschiebehäftlinge zu Unrecht in Haft. (...)
Quelle: jungeWelt (https://jungewelt.de/)