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»Nicht Russen oder Chinesen haben uns 600 Jahre unterdrückt«

Begonnen von Steven, 20. Juni 2022, 14:10:30

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Steven

Über die internationalen Beziehungen Sambias, die Entwicklung der Sozialistischen Partei des Landes und die neoliberale Weltordnung. Ein Gespräch mit Cosmas Musumali

Die Partei, der Sie als Generalsekretär vorstehen, ist noch sehr jung. Wie kam es zur Gründung der Sozialistischen Partei Sambias, und wie ist sie aufgestellt?
Dr. Cosmas Musumali, 57, ist Generalsekretär der Sozialistischen Partei (SP) Sambias und Wirtschaftswissenschaftler. Er studierte in den 1980er Jahren in Marburg. Seine politischen Wurzeln hat er in der Genossenschaftsbewegung zur Armutsbekämpfung, im Kampf gegen HIV und im Aufbau effektiver Gesundheitssysteme. Jüngst plante eine Delegation der SP einen Besuch in Europa, der aber aufgrund von Visaproblemen nicht zustande kam.
Einige derer, die die Partei gründeten – ich gehöre dazu –, haben ihre Wurzeln in der sozialistischen bzw. kommunistischen Bewegung. Ich war Mitglied der DKP und des Marburger Studentenbundes sowie Teil der Antiapartheidbewegung und bin in der europäischen Linken sozialisiert worden. Ich habe die Sowjetunion besucht, hatte Genossen und Freunde in der FDJ und kenne mich mit dem sozialistischen deutschen Projekt aus. Der Präsident unserer Partei Fred M'membe war Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion, als die neoliberale Weltordnung über uns hereinbrach, sahen wir, dass Sambia nicht nur keine Fortschritte machte, sondern dass gemeinschaftliche Güter und das öffentliche System privatisiert und zerstört wurden. Der Neoliberalismus brachte den Hunger zurück. Der Kapitalismus zeigte, dass er nicht dazu da ist, Probleme zu lösen, schon gar nicht in der Peripherie – weder Frieden noch Gerechtigkeit können mit ihm erreicht werden. Ein neues Projekt musste her.

Dabei war es bis vor wenigen Jahren nicht einmal möglich, sich sozialistische Partei zu nennen. Die Veränderungen nach dem Fall der Sowjetunion waren zu dramatisch in Sambia: Der IWF und die Weltbank kamen mit SAPs (Structural Adjustment Programs sind Vorgaben, die eingehalten werden müssen, um Gelder zu bekommen, zum Beispiel mehr Privatisierungen, jW), und das Narrativ war, dass der Sozialismus verloren hatte. Selbst progressive linke Bewegungen sagten, dass dieser kein Anknüpfungspunkt mehr sei. Wenn wir also proklamierten, dass Sambia und ganz Afrika zurückgelassen wurden, dass der Kapitalismus das Land und den Kontinent zerstört, dass die Versprechen der Freiheitsbewegungen nicht eingelöst wurden, mussten wir uns zuerst den Begriff wieder aneignen und erklären, was ein Sozialist ist. Wenn wir nicht unsere Begriffe positiv besetzen können, wer dann? Wir haben in dieser Hinsicht viel erreicht: Sozialismus bedeutet wieder etwas. Selbst bürgerliche Parteien benutzen die Begriffe »sozial« und »sozialistisch«, um zu zeigen, was es bedeutet, Politik für die Menschen in Sambia zu machen.

Dabei denken wir auch immer panafrikanisch: Unser Land kann nicht allein stehen, wir müssen und wollen mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten. Wir glauben fest daran, dass eine Veränderung in Sambia eine Veränderung für den Kontinent bedeuten muss. Junge Menschen müssen ermächtigt werden, wir müssen Mentoren sein für Organisationen und junge Leute aus anderen Ländern. Etwa 20 Prozent unserer Zeit verbringen wir im internationalen Austausch und arbeiten an panafrikanischen Themen. Internationalismus ist für uns Grundbedürfnis und Bedingung für unsere Arbeit.

Wir sind die am schnellsten wachsende Partei in Sambia. Mit 10.000 Mitgliedern fingen wir an, jetzt bewegen wir uns rapide auf 100.000 zu, im nächsten Jahr wollen wir 300.000 erreichen. Solch ein schnelles Wachstum bestärkt uns einerseits darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Allerdings ist es auch eine Herausforderung, die neuen Mitglieder zu integrieren, mit ihnen Ideen zu entwickeln und Ideale zu formulieren. Es ist aber eine positive Herausforderung. Wir hoffen, der erste neue sozialistische Staat Afrikas zu werden.

Die Präsidentschaftswahlen und die Wahl zur Nationalversammlung fanden im vergangenen Jahr statt. Wie schätzen Sie die Abstimmungen und das Ergebnis ein?

Die Patriotic Front (PT) unter Edgar Lungu hat diese Wahl verloren. Sie reiht sich ein in eine lange Liste von Parteien, die ihre Versprechen nicht gehalten haben, diese auch nicht halten konnten und so in einem Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft versanken. Die Wirtschaft Sambias liegt am Boden, die Armen des Landes, die organisierte Arbeiterklasse, die Bauern hatten alle genug von der PT.

Junge Wähler spielen in Sambia eine große Rolle: 64 Prozent der Menschen sind unter 24 Jahren alt. Viele von ihnen wählten die United Party for National Development (UPND) – eine rechtskonservative Partei, von US- und südafrikanischem Kapital unterstützt. Sie war 20 Jahre lang in der Opposition und hatte eine gut organisierte und gut finanzierte Wahlkampagne. Die frustrierten Massen haben strategisch gewählt: Sie wollten Veränderung, und es sah so aus, als könnte ihnen die UPND diese geben. Sie haben die SP nicht als Alternative, als schlagkräftig genug wahrgenommen. Dafür ist die Partei zu jung. Allerdings muss man nun nach zehn Monaten sagen, dass den Menschen klargeworden ist, dass die gewünschten Veränderungen wohl nicht eintreffen werden. Viele junge Leute, die für die UPND gestimmt haben, kommen deshalb jetzt zu uns.

Ihr Wahlkampf war mit einer breiten Alphabetisierungskampagne verbunden. Wie hat die Bevölkerung diese wahrgenommen?

1. Die Wahlkampagne wurde in Form einer Alphabetisierungskampagne betrieben bzw. als Mittel genutzt, ein Alphabetisierungsprogramm vorzustellen. Dieses Programm läuft weiter. Sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum erreichen wir mittlere Lesefähigkeit.

2. Geschlechterparität: In Sambia sind 52 Prozent der Bevölkerung weiblich, in der Politik spiegelte sich das bisher nicht wider.

3. Auflösung des Klassengefälles: Wir haben Leute aufgestellt, die Friseurinnen, Taxifahrer und Bäuerinnen sind.

Auf Parlamentsebene gibt es 156 Wahlkreise, für die jede Partei einen Kandidaten zur Wahl stellt. Auf der Lokalebene gibt es 1.800 Kreise, sogenannte Wards. Wir haben es geschafft, Geschlechterparität zu erreichen und Frauen und Männer aus den Communities aufzustellen. Die Menschen haben gemerkt, dass wir anders herangehen, dass wir etwas aufbauen, das größer ist – auch wenn unsere Wahlergebnisse nicht so großartig waren.

Vor welchen Hürden stehen die Politik und die Wirtschaft Sambias, und welche Optionen sehen Sie?

Es ist wichtig, die Zusammenhänge in Sambia zu verstehen. Der globale Kapitalismus ist hierarchisch organisiert. Es gibt das kapitalistische Zentrum, das sind die Länder, die bestimmen, wie Deutschland, Großbritannien und die USA usw. Es gibt auch regionale Zentren, für den afrikanischen Kontinent ist das zum Beispiel Südafrika. Und dann ist da die Peripherie: Sambia. Und obwohl wir alle in diesem globalen kapitalistischen System funktionieren, alle von ihm betroffen sind, sind die Regeln doch unterschiedlich. In der Peripherie gilt das Gesetz des Dschungels. Armut hat ein ungekanntes Ausmaß, die Umweltzerstörung durch multinationale Unternehmen, welche die Ressourcen ausbeuten und außer Landes schaffen, ist massiv. Regierungen haben keine Legitimität, die Menschen dürfen zwar wählen, doch bleibt ihnen nur die Wahl, von welchem multinationalen Konzern sie durch ihre eigenen korrupten Regierungen ausgebeutet werden wollen. Überall ist Kampf, aber hier in Sambia muss dieser Kampf verzehnfacht werden.

Die Menschen hier erwarten von ihrer Regierung, dass sie Arbeitsplätze schafft, dass sie die Bevölkerung ernährt, Behausungen bereitstellt, die Umwelt so schützt, dass sie den Menschen nicht gefährdet. Sie kämpfen für die Grundbedürfnisse, sie wollen Würde, sie wollen Entscheidungen treffen, die etwas bedeuten. Sie wollen eine Regierung, die liefert, was sie verspricht; die in die Menschen, Projekte und Infrastruktur des Landes investiert. Die jetzige Regierung hat Anreize in Höhe von 700 Millionen US-Dollar an die Bergbauriesen gegeben. Korruption ist endemisch, und der Staatsapparat hat keine Handhabe. Die gesamte Gesellschaft ist von dieser Korruption durchdrungen.

Sambia ist einer der wichtigsten Kupferproduzenten weltweit. Seit mehr als 20 Jahren befindet sich der Bergbausektor in der Hand von multinationalen Konzernen. Warum fordern Sie keine Verstaatlichung der Minen?

Ja, der Abbau von Ressourcen im Land wird hauptsächlich von einer Handvoll multinationaler Bergbaukonzerne betrieben. Die Bodenschätze werden hier abgebaut und die Profite woanders gemacht. Die Menschen Sambias müssen den Reichtum, die Ressourcen ihres Landes selbst kontrollieren, inklusive der Edelmetalle. Sie müssen effizient und so umweltschonend wie möglich gefördert werden, und der Gewinn aus ihrem Verkauf muss ins Land und in die Menschen investiert werden und ihnen zugutekommen.

Derzeit werden etwa 40 Prozent der Bodenschätze gehoben, das heißt 60 Prozent sind noch im Boden, und da sollen sie vorerst auch bleiben. Unser erster Schritt muss sein, die Besteuerung in den Griff zu kriegen. Selbst Organisationen wie die Weltbank und der IWF, also nicht gerade sozialistische Genossen, finden, dass Sambias Besteuerung der Unternehmen, die die Bodenschätze des Landes heben, lächerlich gering ist, es Korruption und viele Möglichkeiten gibt, auch diese geringe Steuerlast noch zu umgehen.

Unser erstes Ziel als Sozialistische Partei ist es, diese Steuerschlupflöcher zu schließen. Wir müssen neue Steuerraten mit den Konzernen aushandeln, wir müssen darauf achten, dass die 60 Prozent im Boden bleiben und dass entsprechend Steuern auf die anderen 40 Prozent bezahlt werden. Und wir müssen dafür sorgen, dass mit Hilfe dieser Steuern das Bildungs- und das Gesundheitssystem finanziert werden können, aber eben auch die Infrastruktur verbessert wird, um den Bergbau in Sambia effizienter, effektiver und vor allem lokal zu gestalten. Damit meine ich, dass wir eigene Expertise aufbauen müssen, von Steuerfachleuten bis zu Bergbauingenieuren. Im Moment haben wir weder das eine noch das andere. Machen wir es richtig, dann werden wir acht Jahre brauchen, unsere Kapazitäten aufzubauen. Im Moment kontrollieren wir weder die Technologie noch die Finanzierung dieser Projekte – noch nicht einmal das Marketing. Wir müssen erst die gesamte Produktionskette kontrollieren, um nicht zu riskieren, was wir schon kennen: Sabotage, ein Coup d'État oder ein ermordeter Präsident. Deshalb ist es nötig, diese Transformation in Phasen zu denken.

Einige Länder des globalen Südens wollen die Sanktionspolitik des Westens gegen Russland nicht mittragen, statt dessen gibt es viele, die sich aus der eigenen Erfahrung der Abhängigkeit gegen die NATO stellen. Inwiefern betreffen die Auseinandersetzungen zwischen NATO und Russland die Wirtschaft, Politik und die Arbeiterklasse in Sambia? Was ist Ihre Sicht auf die Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland?

Für die Menschen steigen die Preise rasant. Sambia importiert Dünger aus der Ukraine und Russland, selbst Kleinbauern sind davon abhängig. Die Auswirkungen sind gravierend. Steigen die Preise für Dünger, steigen die Preise für Lebensmittel. Und Sambia ist ein hungriges Land. Ein Euro entspricht aktuell 25 Zambian Kwacha. Durch die steigenden Treibstoffkosten wird der Transport teurer. Sambia importiert Getreide, der Preis für Brot steigt sofort. Es ist eine schlimme Krise für die Bevölkerung.

Im geopolitischen Verständnis betrachten wir diesen Krieg als vorhersehbar: Er war eine Frage der Zeit und ist ein Resultat der imperialen Expansionspolitik der USA. Krieg ist schrecklich, wir wollen nirgends Krieg sehen, wir wünschen uns Frieden. Aber wir sehen die Verantwortung bei den USA. Es ist auch anzunehmen, dass die USA sich die Hände reiben, denn das Ziel scheint, Russland zu schwächen, um sich China zuzuwenden.

Wie schätzen Sie die Rolle von Russland und auch China in Afrika, speziell im Süden Afrikas und Sambia ein? Inwiefern unterscheidet sich ihre Politik von der der EU, Großbritanniens und den USA?

Wir haben eine Geschichte und diese Geschichte prägt uns. Die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent wurden wie Tiere behandelt, wir wurden versklavt, aus dem Land geschleppt und wir wurden ermordet – Millionen von uns. Und die Leute, die uns versklavt haben, waren nicht Chinesen und keine Russen. Es sind Europäer und Amerikaner gewesen. 1885 haben sie in Berlin unseren Kontinent aufgeteilt, willkürlich wie einen Kuchen in lauter kleine Stücke. Und wir wurden Kolonien. Als unsere Völker Widerstand leisteten, wurden sie niedergemetzelt, kaltblütig wurde Völkermord betrieben, wie etwa durch die Deutschen in Kamerun. Das war Kolonialismus, der nur einen Zweck hatte: die ökonomischen Interessen der europäischen Mächte durchzusetzen.

Als wir schließlich unsere Freiheit erkämpften, waren die Amerikaner und die Europäer nicht an unserer Seite. Selbst im Falle der Apartheid, ein wirklich teuflisches System, waren es nicht die Amerikaner, die uns Waffen geliefert haben, es war die Sowjetunion. Und als wir unsere Waren nicht außer Landes schaffen konnten, waren es Chinesen, die mit uns die Bahnlinie von Lusaka nach Tansania bauten. Damals war China kein reiches Land! Wir haben gerade ein Denkmal eröffnet für die über 100 chinesischen Arbeiter, die während der Bauarbeiten gestorben sind.

Unsere Feinde sind nicht Russen oder Chinesen, sie haben uns nicht 600 Jahre unterdrückt. Unsere progressiven Führer, wie Nkrumah, Lumumba, Machel und Sankara wurden unter Beteiligung des Westens umgebracht. Wenn ich über Nordamerika und Europa spreche, spreche ich nicht über die Menschen in diesen Ländern. Doch wir kennen die imperialistische Natur Europas und der USA, wir kennen unsere Feinde. Wir sind keine Marionetten Chinas oder Russlands, wir sind uns auch der Probleme bewusst. Aber ein normaler Arbeiter in Sambia wird sagen: »Wieso? Das sind unsere Freunde, sie haben uns geholfen!«

Welche Verbindungen sucht Ihre Partei mit Deutschland, mit Europa? Was versprechen Sie sich davon?

Ich habe eine persönliche, emotionale Bindung an die Linke in Europa. Dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich zuerst Solidarität erfahren und selbst internationale Solidarität gelernt. Dort wurde mir gezeigt, dass der Kampf für eine bessere Welt global ist und unser Kampf hier dazugehört. Daher ist mir Europa irgendwie nah.

Außerdem steht Sambia nicht genug im Rampenlicht. Wir wollen uns aber erklären, wir wollen unsere Arbeit zeigen, auch im Bereich des Panafrikanismus. Wir wünschen uns die Aufmerksamkeit, die diese Projekte verdienen. Manche Aspekte unserer Arbeit könnten sicher auch von der Erfahrung, der Solidarität und der Unterstützung der linken Bewegungen und Parteien Europas profitieren. Die europäischen Linken aus der Ferne zu verstehen, ist oftmals schwer. Wir würden uns da mehr Austausch wünschen.

Quelle: jungeWelt
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Steven Rohrmooser
      Redaktion


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