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🐝 Regensburg: Steinerne Brücke von Severin

DEUTSCHER IMPERIALISMUS

Begonnen von Bastian, 26. Oktober 2022, 08:56:54

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Bastian

DEUTSCHER IMPERIALISMUS
»Wer Kiew hat, kann Russland zwingen!«

Die Zarenherrschaft nach Osten abdrängen: Die Ukraine und die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg (Teil 1)


Deutsche Truppen besetzen Kiew, 3. März 1918

Unterhalb des wohlfeilen Geredes vom Kampf der Freiheit gegen die Autokratie lässt sich finden, dass Außenpolitik klaren Interessen dient, ökonomischen wie geostrategischen, die im Zweifel mit militärischen Mitteln verfolgt werden. Das ist spätestens so, seit die Menschheit das Zeitalter des Imperialismus betreten hat. Dies berücksichtigt, lassen sich Parallelen zwischen gestern und heute entdecken. Im ersten imperalistischen Weltkrieg verfolgte das Deutsche Kaiserreich eine gegen Russland ausformulierte Ukraine-Politik. Im folgenden, in zwei Teilen erscheinenden Beitrag skizziert der Berliner Historiker Reiner Zilkenat die Grundzüge dieser auf Raub und Erpressung zielenden Politik. Einer kleiner Auszug dieses Artikels erschien bereits in einer Beilage von junge Welt am 7. Mai 2014. Reiner Zilkenat stand für einige Jahre dem »Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung« vor. Für diese Zeitung schrieb er etliche Artikel zur Geschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Er verstarb am 26. Februar 2020 im Alter von 69 Jahren.

Als das Deutsche Kaiserreich im August 1914 daran ging, seinen »Platz an der Sonne« mit Waffengewalt einzufordern, so wie es am 6. Dezember 1897 der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernhard von Bülow, im Reichstag postuliert hatte¹, spielte die Frage nach den Kriegszielen naturgemäß eine herausragende Rolle. Am 9. September 1914 brachte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg in einer geheimen Denkschrift zu Papier, für welche Ziele die Millionen deutscher Soldaten an den Fronten zu leiden und zu sterben hatten. Wir lesen hier u. a.: »Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muss Frankreich geschwächt werden, dass es als Großmacht nicht neu erstehen kann, Russland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.«² Bereits einen Monat zuvor hatte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Gottlieb von Jagow, folgende bemerkenswerte Sätze in einem Erlass für den deutschen Botschafter in Wien formuliert: »Insurgierung nicht nur Polens, sondern auch der Ukraine erscheint uns sehr wichtig; 1. als Kampfmittel gegen Russland; 2. weil im Falle glücklichen Kriegsausganges die Bildung mehrerer Pufferstaaten zwischen Russland und Deutschland bzw. Österreich-Ungarn zweckmäßig würde, um den Druck des russischen Kolosses auf Westeuropa zu erleichtern und Russland möglichst nach Osten abzudrängen.«³

»Dem Russen Blut abzapfen«

Zum Teil noch radikaler formuliert waren die Kriegszieldenkschriften des Alldeutschen Verbandes⁴ und von Organisationen und Repräsentanten der deutschen Industrie, darunter von August Thyssen, Walther Rathenau, Alfred Hugenberg und Gustav Stresemann.⁵ Im Laufe der Jahre gerieten die Zielsetzungen für den Osten Europas immer maßloser und bildeten eines der bevorzugten Themen in den Debatten über die anzustrebenden Kriegsziele. Die Kernfrage lautete: Was bedeutete es konkret, Russlands Herrschaft »über die Vasallenvölker« zu brechen? Die territoriale Einverleibung eines Teils des Zarenreiches, z. B. des Baltikums und der Ukraine, in das Deutsche Kaiserreich bzw. die mit ihm verbündete Habsburgermonarchie? Die Schaffung eines selbständigen, aber von den Mittelmächten politisch und wirtschaftlich abhängigen Polens? Wie sollten sich derartige direkte Annexionen bzw. die Schaffung von »Einflusszonen« (Informal empire) in das Konzept zur Herstellung eines von Deutschland dominierten »Mitteleuropa«⁶ einordnen? Im Zentrum derartiger Überlegungen stand bald die Ukraine, sowohl aus ökonomischen als auch aus politisch-militärstrategischen Gründen.

Bereits am 10. Dezember 1887 hatte ein junger Diplomat, kein anderer als der damals in St. Petersburg als Botschaftsrat amtierende spätere Staatssekretär und Reichskanzler Bernhard von Bülow, in einem Bericht an das Auswärtige Amt folgende Gedanken formuliert: »Wir müssen eventuell dem Russen soviel Blut abzapfen, dass derselbe sich nicht erleichtert fühlt, sondern 25 Jahre außerstande ist, auf den Beinen zu stehen. Wir müssten die wirtschaftlichen Hilfsquellen Russlands für lange hinaus durch Verwüstung seiner Schwarzerd-Gouvernements, Bombardierung seiner Küstenstädte, möglichste Zerstörung seiner Industrie und seines Handels zuschütten. Wir müssten endlich Russland von jenen beiden Meeren, der Ostsee und dem Schwarzen Meer, abdrängen, auf denen seine Weltstellung beruht.«⁷ Und 1897 schrieb Paul Rohrbach, einer der führenden außenpolitischen Publizisten seiner Zeit, in seinem Artikel »Durch die Ukraine« leitmotivisch: »Wenn der Tag kommt, wo Russland das Schicksal herausfordert, und dann zufällig dort, wo bei uns die Entscheidungen getroffen werden, jemand soviel Kenntnis von den Dingen und soviel Entschlossenheit hat, dass er die ukrainische Bewegung richtig loszubinden weiß – dann, ja dann könnte Russland zertrümmert werden. Wer Kiew hat, kann Russland zwingen!«⁸ Zwanzig Jahre später, während des Ersten Weltkriegs, waren derartige Anschauungen weitgehend Konsensus innerhalb der politischen und militärischen Führung des Kaiserreiches, allerdings mit einer erheblichen Einschränkung: Die Zerstörung der Industrie und des Handels wurde nicht mehr in dieser Radikalität gefordert, weil das Zentrum der Industrie, der Agrarwirtschaft und des Handels, gelegen in der Ukraine, sowohl für die deutsche und österreichische Kriegswirtschaft als auch für die strategischen Planungen für die Zeit nach dem Krieg eine herausragende Bedeutung gewonnen hatte.

Vor dem Ersten Weltkrieg waren durch das deutsche Großkapital für die Förderung der Rohstoffe und den industriellen Aufbau der Ukraine bedeutende Kapitalien investiert worden.⁹ Dabei handelte es sich u. a. um die Gelsenkirchener Bergwerks AG, das größte deutsche Bergwerksunternehmen, die Oberschlesischen Eisen- und Kohlewerke AG, die Borsig-Werke, Orenstein und Koppel, die Duisburg AG Wetter an der Ruhr, die Donnersmarckhütte sowie die Oberschlesische Eisenbahnbedarfs AG. Für das nötige Kapital sorgten vor allem die Deutsche Bank, die Disconto-Gesellschaft und die Berliner Handels-Gesellschaft, die dabei mit russischen Banken eng kooperierten. Zum Teil wurden Minderheitsbeteiligungen bei Unternehmen plaziert, die sich mehrheitlich in der Hand französischer oder belgischer Konzerne befanden. Das stärkste Engagement, besonders durch den Thyssen-Konzern, gab es bei der Förderung der Manganerze. Drei Viertel seines Bedarfs deckte Deutschland mit Hilfe des Imports aus der Ukrai�ne, wo sich die bedeutendsten Manganerzlagerstätten der Welt befanden. Auch die Einfuhr von Eisenerzen befand sich auf einem hohen Niveau: Knapp zwei Drittel der ukrainischen Eisenerzexporte hatten das Deutsche Reich als Ziel. 1913 waren dies etwa 900.000 Tonnen, wobei die Erze der Lagerstätten um Kriwoi Rog mit einem Eisengehalt von fast 70 Prozent eine herausragende Qualität besaßen. Insgesamt wurden in der Region Kriwoi Rog etwa 6,8 Milliarden Tonnen abbaubare Vorräte an Eisenerz vermutet, das entsprach etwa der vierfachen Mengen entsprechender Lagerstätten in Deutschland.¹⁰

Kapitale Investitionen

Insgesamt rund 20 Prozent der ausländischen Kapitalbeteiligungen im Zarenreich entfielen auf deutsche Unternehmen, wovon ein großer Teil in der Ukraine investiert worden war. Eine führende Stellung nahm deutsches und österreichisches Kapital in der ukrainischen eisenverarbeitenden und Maschinenbauindustrie ein. Knapp die Hälfte des hier investierten ausländischen Kapitals hatte seinen Ursprung in diesen beiden Ländern. Deshalb intervenierten in den Jahren 1917/18 führende Repräsentanten und Interessenverbände des deutschen Großkapitals (u. a. der Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, der Thyssen-Konzern und der Deutsche Handelstag) bei der Reichsregierung und der Dritten Obersten Heeresleitung, um nicht nur jetzt, in der Endphase des Kriegs, sondern auch für die Zeit danach einen exklusiven Zugriff auf das Wirtschafts- und Rohstoffpotential sowie die Verkehrsinfrastruktur (Eisenbahnlinien und Häfen) der Ukraine, Georgiens und des Kaukasus zu erhalten. Der Großindustrielle Hermann Röchling hob beispielsweise auf einer Sitzung des Hauptausschusses des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller am 8. Dezember 1917 – drei Monate vor dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk – im Berliner Hotel »Adlon« unwidersprochen hervor, dass die deutsche Schwerindustrie »ein gewaltiges Interesse« an der Ausbeutung der Manganerze habe und deshalb deren Kontrolle zu den »russischen Kriegszielen«¹¹ des Deutschen Kaiserreiches gerechnet werden müsse.

Vor allem waren Deutschland und die Habsburgermonarchie daran interessiert, neben mineralischen Rohstoffen auch Getreide, Nahrungsmittel und Vieh aus der Ukraine nach Deutschland und Österreich zu verbringen, um die sich im Verlaufe des Weltkriegs immer mehr zuspitzende Versorgungskrise der Bevölkerung in der Heimat zu entspannen.¹² Im Januar 1918 ging der Erste Generalquartiermeister des deutschen Heeres, General der Infanterie Erich Ludendorff, davon aus, dass bis zum Juni Getreidelieferungen in der Größenordnung von einer Million Waggons möglich seien.¹³ Die Ukraine war schließlich traditionell die »Kornkammer« des Zarenreiches. Sie erzielte am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit 250 Millionen Tonnen nicht weniger als zehn Prozent der Weltgetreideernte und war mit einem Anteil von über 20 Prozent der weltweit größte Getreideexporteur.

Anmerkungen:

1 Siehe Wilhelm v. Massow (Hg.): Fürst Bülows Reden. 1. Band. Leipzig o. J., S. 36.

2 Zitiert nach: Reinhard Opitz (Hg.): Europastrategien des deutschen Kapitals 1900–1945. Köln 1977, S. 216. Der Autor dieser überaus bedeutsamen Denkschrift war wohl eigentlich Kurt Riezler, der engste Vertraute und Mitarbeiter Bethmann Hollwegs.

3 Zitiert nach: Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918 unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsfragen. Lübeck und Hamburg 1970, S. 34. Der Erlass wurde auf den 14.8.1914 datiert.

4 Siehe hierzu Bundesarchiv Berlin (im folgenden: BArch), R 8048/629, wo sich vor allem eine Sammlung von Artikeln aus den Alldeutschen Blättern findet, die der damaligen Kriegszieldiskussion gewidmet waren.

5 Siehe Dieter Fricke (Hg.): Dokumente zur deutschen Geschichte 1914–1917. Bearbeitet von Willibald Gutsche. Berlin (DDR) 1975, S. 37 f.; 41 f.; 42 ff.; 46 f.; 51 f.; 60; 61 f.; 66 f. u. 117 f. und bes. Europastrategien des deutschen Kapitals 1900–1945, S. 211 ff.

6 Siehe zu dieser Thematik die bedeutsame Programmschrift von Friedrich Naumann: Mitteleuropa. Berlin 1916. Seine Sicht auf die »Mitteleuropa-Problematik« schildert in seinem Tagebuch der engste Vertraute Bethmann Hollwegs, Kurt Riezler, folgendermaßen: »Gestern lange mit dem Kanzler zusammengesessen, um ihm mein neues Europa, d. h. die europäische Verbrämung unseres Machtwillens, auseinanderzusetzen. Das mitteleuropäische Reich Deutscher Nation. Das bei Aktiengesellschaften übliche Schachtelsystem, das deutsche Reich eine AG mit preußischer Aktienmajorität, jede Hinzunahme neuer Aktionäre würde diese Mehrheit, auf der, als auf der preußischen Hegemonie das Reich steht, zerstören. Daher um das deutsche Reich herum ein Staatenbund, in dem das Reich ebenso die Majorität hat wie Preußen im Reich – daher dann Preußen auch in diesem Staatenbund die tatsächliche Leitung hat. Die belgische Frage so lösen, dass sie dieser zukünftigen Entwicklung nicht im Wege steht, sondern sie im Gegenteil selbst heraufführen hilft. Dann Österreich so behandeln, dass es von selbst hineinwächst. Das wird es und muss es. Dann den europäischen Gedanken in Skandinavien und Holland stärken. Man braucht gar nicht von Anschluss an die Centralmacht zu reden. Der europäische Gedanke, wenn er sich weiter denkt, führt ganz alleine zu solcher Konsequenz. Dito die Ermüdung und der nach dem Kriege zu erwartende Pazifismus. Man muss der Welt den ewigen Frieden versprechen. (...) Dies Mitteleuropa ist wirtschaftlich und politisch die welthistorische Aufgabe.« Kurt Riezler: Tagebücher, Aufsätze, Dokumente. Eingeleitet und herausgegeben von Karl Dietrich Erdmann. Göttingen 1972, S. 268 f. (18. April 1915). Friedrich Naumann, der eifrigste Propagandist des »Mitteleuropa-Konzeptes«, hatte im übrigen engen Kontakt zu Theobald von Bethmann Hollweg; beide konsultierten sich zur Frage der anzustrebenden Kriegsziele offenbar mehrfach. Siehe Bernd F. Schulte: Die Verfälschung der Riezler-Tagebücher. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der 50er und 60er Jahre. Frankfurt am Main 1985, Anhang, Nr. 6, S. 171 (Aufzeichnung von Prof. Dr. Rheindorf über ein Gespräch mit Kurt Riezler, 5./6.8.1930): »Die Naumannschen Mitteleuropa-Pläne seien entsprechend den Bethmannschen Ansichten über den künftigen Frieden unterstützt worden. Naumann habe öfter mit Bethmann konferiert.«

7 Zitiert nach Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918, S. 30. Adressat des Bülowschen Berichtes war Friedrich von Holstein, der Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Er galt als ein unversöhnlicher Gegner Russlands.

8 Paul Rohrbach: Weltpolitisches Wanderbuch 1897–1915, Königstein u. Leipzig 1916, S. 51. Ebenda, S. 49 und 52, heißt es: »Ohne die Ukraine ist Russland nicht Russland, hat es kein Eisen, keine Kohle, kein Korn, keine Häfen! Wenn einer Russland niederwerfen will, wohin muss er marschieren? (...) Wer Kiew hat, der hat auch die Küsten und die Häfen am Schwarzen Meer. Ohne die Kohle der Ukraine können die Eisenbahnen nicht fahren, ohne ihr Eisenerz können keine Pflugscharen geschmiedet, keine Kanonen gegossen werden, und ohne ihr Getreide hat das übrige Russland nicht genug Nahrung. (...) Zwischen dem Kaukasus und dem moskowitischen Russland liegt die Ukraine. Wird eines Tages dem ukrainischen Volk das Wort zugerufen, auf das es sich erhebt, so bleibt auch der Kaukasus nicht bei Moskau, sondern er fällt an das ukrainische Russland.« Zur Biographie von Paul Rohrbach und zu seiner herausragenden Bedeutung für die Propagierung der deutschen »Weltpolitik« siehe Walter Mogk: Paul Rohrbach und das »Größere Deutschland«. Ethischer Imperialismus im Wilhelminischen Zeitalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Kulturprotestantismus. München 1972; Peter Borowsky: Paul Rohrbach und die Ukraine. Ein Beitrag zum Kontinuitätsproblem. In: Imanuel Geiss/Bernd-Jürgen Wendt (Hg.): Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Fritz Fischer zum 65. Geburtstag. Düsseldorf 1973, S. 437 ff.; Reinhard Opitz: Der deutsche Sozialliberalismus 1917–1933. Köln 1973, S. 21 ff. u. 179 ff.

9 Das Folgende nach Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1967 (Sonderausgabe), S. 422 ff., und Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918, S. 21 ff.

10 Siehe Leo Stern (Hg.): Die Auswirkungen der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf Deutschland. Berlin (DDR) 1959, Nr. 266, S. 827 ff.

11 BArch, R 13 I/153, Bl. 49.

12 Siehe Jürgen Kocka: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918. Göttingen 1973, S. 33 ff., bes. 40 ff.; Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918. Wien u. a. 2013, S. 683 ff.

13 Siehe Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. München 2010, S. 368

Quelle: junge Welt
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Bastian Gruber
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Bastian

DEUTSCHER IMPERIALISMUS
»Das fetteste Stück«

Das Land den Russen entreißen und seiner Reichtümer berauben. Die deutsche Ukraine-Politik und die Kriegsziele im Osten (Teil II und Schluss)


Organisierte Plünderung. Unter der deutsch-österreichischen Besatzung der Ukraine zwischen März 1918 und März 1919 rollten etliche Tausend Eisenbahnwaggongs mit Lebensmitteln in Richtung Berlin und Wien (undatierte Aufnahme)

Als am 3. März 1918 der Frieden von Brest-Litowsk, »ein Diktatfriede, der karthagische Züge aufwies«¹, zwischen der bolschewistischen Regierung und den Mittelmächten geschlossen wurde, musste die junge Sowjetmacht, um für das vom Krieg schwer heimgesuchte Land eine Atempause herbeizuführen, in Gebietsabtretungen zugunsten der Mittelmächte einwilligen.² Russland verlor eine Million Quadratkilometer Boden, eine Bevölkerung von 50 Millionen Menschen, neunzig Prozent aller russischen Kohlengruben, die Hälfte aller Eisen- und Stahlwerke, außerdem ein Drittel des gesamten Eisenbahnnetzes. Manfred Nebelin schreibt völlig zu Recht, dass Russland jetzt »auf die Grenzen vor der Zeit Peters des Großen zurückgeworfen« worden sei. »Aus der Anfang des 18. Jahrhunderts entstandenen Großmacht« – so schien es zumindest – »war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein deutscher Vasallenstaat geworden«.³

»Deutsches Wirtschaftsgebiet«

Dabei wurde auch die Ukraine, die als selbständiger Staat mit Deutschland und der Habsburgermonarchie bereits am 9. Februar 1918 einen gesonderten Friedensvertrag, den »Brotfrieden«, abgeschlossen hatte, von österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen besetzt.⁴ Von deutscher Seite waren fünf Armeekorps mit zusammen mehr als 500.000 Mann als »Heeresgruppe Kiew« im Lande stationiert, darunter auch auf der Halbinsel Krim. Sie hatten die Aufgabe, die Rote Armee endgültig aus dem Lande zu vertreiben, jegliche revolutionären Bewegungen niederzuhalten und dabei die im April 1918 installierte Marionettenregierung des Hetman Pawlo Skoropadskij nach Kräften zu unterstützen.⁵

Insbesondere war sicherzustellen, dass die so dringend benötigten Rohstoffe und Agrarprodukte in ausreichender Menge, so wie es im »Brotfrieden« vereinbart worden war, »freiwillig« und gegen Bezahlung abgeliefert wurden. Geschah dies nicht, wurde mit militärischer Gewalt nachgeholfen.

Die österreichischen Einheiten, insgesamt 250.000 Mann, wurden vom General der Infanterie Alfred Krauß kommandiert, der es übrigens im »Dritten Reich« der Faschisten noch zum »Reichstagsabgeordneten« und SA-Brigadeführer bringen sollte.⁶ Ihm war vom Oberkommando in Wien folgende Instruktion mit auf den Weg gegeben worden: »Ruhe und Ordnung in unserem Besatzungsgebiet aufrechtzuerhalten; die Ukraine für die Monarchie auszunützen, vor allem an Getreide und Vieh, und für die Zukunft günstige Handelsbeziehungen anzubahnen.«⁷

Die wichtigste Person auf deutscher Seite war der Stabschef der Heeresgruppe Kiew, Generalleutnant Wilhelm Groener, der spätere Reichswehr-, Verkehrs- und Innenminister der Weimarer Republik. Als glänzender Organisator und Prototyp des »politischen Offiziers« sollte er die Willfährigkeit der ukrainischen Regierung sicherstellen und die Ablieferung der Agrarprodukte und Rohstoffe organisieren. Dazu war ein landesweites Netz von entsprechenden Ablieferungs- und Aufkaufstationen installiert worden, das seinen Zweck jedoch nur zum Teil erfüllen konnte.

Groener war von Anfang an klar, dass die Besetzung der Ukraine in einem größeren »geopolitischen« Zusammenhang zu betrachten war. In einer Ansprache vor Offizieren in Kiew Ende September/Anfang Oktober 1918 – nur wenige Wochen vor dem endgültigen Zusammenbruch der Front im Westen und dem Beginn der Revolution – äußerte er hierzu in bemerkenswerter Klarheit folgende Gedanken: »Die Ukraine bildet gegenwärtig nichts anderes als ein vermehrtes deutsches Wirtschaftsgebiet. (...) Also, weshalb wir hier sind, ist ganz klar. Weil wir die Produkte gebrauchen zur Kriegführung. Wir brauchen die Produkte bis an das Kaspische Meer, und wenn es geht, auch noch die Produkte von Turkestan. (...) Staaten bilden, Staaten gründen ist außerordentlich schwierig und besonders schwierig in unserer Situation, wo die Bildung einer selbständigen Ukraine nichts anderes bedeutet, als das fetteste Stück, ich will mal sagen, die Lende des russischen Bären aus dem Körper zu schneiden. (...) Das alte Europa ist ja viel zu klein in seiner territorialen Ausdehnung, um die Rolle, die ihm die Vergangenheit zugewiesen hat, auf die Dauer durchführen zu können ohne Expansion. Der moderne Politiker, der moderne Soldat darf nur wirtschaftlich denken.«

Und weiter: »Es ist ein Unsinn, heutzutage überhaupt von Frieden zu reden. Denken Sie doch nach: Der Friede ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. (...) Dieser Kampf wird nur unterbrochen durch Perioden, in denen sich der militärische Kampf nicht mehr geltend macht, sondern Kampfmethoden wirtschaftlicher oder politischer Natur in die Erscheinung treten. (...) Wir wollen hoffen, dass die militärische Betätigung in diesem wirtschaftlichen Ringen den Kampf sobald wie möglich zu Ende bringt, aber wirtschaftlich und politisch wird die Sache weitergehen. (...) Wir haben versucht, da wir die Offensive über Russland nicht machen konnten (gemeint: die ökonomische und politische Expansion des deutschen Imperialismus in Richtung Mittlerer Osten vor dem Beginn des Krieges; R. Z.), diese Offensive über die Türkei zu machen; sie ist leider Gottes missglückt. (...) Nun versuchen wir es über das Kaspische Meer. Wie weit wir da kommen werden und ob es uns gelingen wird, unseren Einfluss in Turkestan und in Persien weiter auszudehnen, um zunächst mal wirtschaftlich Fuß zu fassen und das Gebiet wirtschaftlich an uns zu knüpfen, das ist im gegenwärtigen Moment nicht mit Sicherheit zu sagen.«⁸

»Unabhängige« Ukraine

Vorerst schienen die von General Groener geäußerten Wunschvorstellungen einer zukünftigen »Weltpolitik« des deutschen Imperialismus – angesichts der unmittelbar bevorstehenden Niederlage der Mittelmächte – vollkommen realitätsfremd, ja geradezu absurd zu sein. Es blieb zunächst dabei, die Ukraine als Lieferant für die Bedürfnisse der deutschen Kriegswirtschaft so weit als möglich auszubeuten. Ihre Funktion als »Sprungbrett« für weitergehende territoriale und politisch-ökonomische Expansionen musste zurückgestellt werden. Für die Realisierung dieser Aufgabe stand Wilhelm Groener als Vorsitzender einer »Wirtschaftskommission« der von der Firma Krupp beurlaubte Direktor Otto Wiedfeldt zur Seite, der in der Weimarer Republik zum Botschafter in Washington avancieren sollte. Auch Wiedfeldt vermochte es nicht, für den notwendigen Nachschub an Erzen, Getreide und Vieh zu sorgen, zumal die Versorgung von einer Dreiviertelmillion deutscher und österreichisch-ungarischer Soldaten den größten Teil der für die »Heimatfront« gedachten Nahrungsgüter absorbierte.⁹ Es kam hinzu: Die Bauern horteten einen beträchtlichen Teil ihrer Ernten, zumal sie mit größtem Misstrauen, ja Widerwillen die Wiedereinsetzung der alten Großgrundbesitzer beobachteten, deren ökonomische und politische Macht nach der Einsetzung der Marionettenregierung Pawlo Skoropadskijs neu auflebte, deren Machtbereich allerdings nicht weit über die Hauptstadt Kiew und ihre nähere Umgebung hinausreichte.¹⁰ Übrigens stellte Skoropadskij der deutschen Regierung nicht weniger als 23 Millionen Rubel für die Vorbereitung und Durchführung seines Putsches in Rechnung, von denen allein jeweils bis zu drei Millionen Rubel für Agitationszwecke und »kräftige Händedrücke« sowie für »wohlgesinnte Leute« (insgesamt etwa 10.000 Personen) aufgewandt worden seien.¹¹

Bereits 1915/16 hatten Großindustrielle wie zum Beispiel Emil Kirdorf (Vorstandsvorsitzender der Gelsenkirchener Bergwerks AG und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des Alldeutschen Verbandes) und Alfred Hugenberg (Vorsitzender des Direktoriums der Krupp-Werke und Gründungsmitglied des Alldeutschen Verbandes) für die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen gesorgt, um in Deutschland den Gedanken für eine von Russland »unabhängige« Ukraine zu propagieren. Zu diesem Zweck wurde die Zeitschrift Osteuropäische Zukunft aus der Taufe gehoben, als deren Herausgeber nach außen ein am 11. Dezember 1915 gegründeter »Verband deutscher Förderer der ukrainischen Freiheitsbestrebungen« firmierte, bei dem es sich um nichts anderes als eine Filiale des Alldeutschen Verbandes handelte.¹² Das wurde bereits aus der personellen Zusammensetzung seines Vorstandes deutlich: Als Vorsitzender dieser Organisation amtierte der General z. D. Freiherr von Gebsattel, zugleich Zweiter Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes; sein Stellvertreter war niemand anders als Emil Kirdorf. Außerdem wurde ein sogenannter Bund zur Befreiung der Ukraine installiert. Wes Geistes Kind diese Organisation war, kann man unter anderem daraus entnehmen, dass sie ihre Publikationen im Münchener Verlag J. F. Lehmann herausgab¹³, dessen Inhaber ebenfalls zur Führung des Alldeutschen Verbandes und seit den ersten Tagen der Weimarer Republik zu den eifrigsten politischen und finanziellen Förderern Adolf Hitlers und seiner faschistischen Partei gehörte.

Der Streit um die Beute

Im Verlaufe des Jahres 1918 steigerte sich der offene, zum Teil bewaffnete Widerstand der Bauernschaft gegen die deutschen und österreichischen Besatzungstruppen, so dass Feldgerichte immer häufiger gegen Widerstand leistende Ukrainer harte Strafen, darunter auch die Todesstrafe, verhängten. Nicht mehr der Aufkauf von Getreide und Vieh, sondern das gewaltsame Requirieren war jetzt an der Tagesordnung.¹⁴ Mit den Worten des österreichischen Generals Krauß: »Die bolschewistisch aufgehetzte, nur auf Landerwerb erpichte Landbevölkerung war nicht gewillt, ihre Vorräte gegen schlechte Bezahlung abzugeben.«¹⁵

Ein deutscher Besatzungsoffizier charakterisierte in seinen während der Nazizeit publizierten Memoiren das Gebaren gegenüber den Bauern mit folgenden einprägsamen Worten: »Eine 10-Mark-Note in der Linken, eine Pistole in der Rechten.« Die rassistisch gefärbte Rechtfertigung dieser Variante des Plünderns liest sich beim selben Autor folgendermaßen: Der Ukrainer sei, »wie der Russe überhaupt, schwer berechenbar, rasch zur Feindseligkeit neigend und in der Leidenschaft wie ein Tier blind und unbeherrscht«.¹⁶

Streit gab es beim Verteilen der Beute auch zwischen den verbündeten Deutschen und Österreichern, denen zu jener Zeit ökonomisch das Wasser bis zum Halse stand: Jeder beanspruchte den Löwenanteil der Beute für sich, so dass ungeachtet vertraglicher Abmachungen – Getreidelieferungen sollten im Verhältnis eins zu eins, Lebensmittellieferungen im Verhältnis vier zu sechs zugunsten Deutschlands aufgeteilt werden – ständige Auseinandersetzungen zwischen ihnen an der Tagesordnung waren.¹⁷ Ungeachtet dessen bedeuteten die aus der Ukraine gewaltsam entnommenen Vorräte an Getreide, Vieh und Lebensmitteln für das von einem dramatischen Nahrungsmangel betroffene Österreich im Jahre 1918 eine gewisse Entspannung der Ernährungssituation. Der ehemalige österreichische Außenminister Ottokar Graf Czernin beziffert die Anzahl der Eisenbahnwaggons, die »offiziell« Lebensmittel in die Habsburgermonarchie im Zeitraum vom Frühjahr bis zum November 1918 verbrachten, auf immerhin mehr als 13.000. Allein an Butter, Fetten und Speck wurden circa 2,2 Millionen Kilogramm requiriert; es kamen beispielsweise mehr als 55.000 Rinder, etwa 40.000 Pferde, 25 Millionen Kilogramm Zucker und beinahe eine Million Kilogramm an Öl und Speiseöl hinzu. Hinzuzurechnen seien weitere 15.000 »inoffizielle« Eisenbahnwaggons, die geschmuggelte Lebensmittel enthielten, die auf dunklen Wegen das Land erreichten. Alles in allem handelte es sich aber um Größenordnungen, die weit unter den Zielen lagen, die Anfang des Jahres 1918 in Aussicht gestellt worden waren.¹⁸

Sie konnten die vor allem in den Städten, auch in der Hauptstadt Wien, »ausbrechende Hungersnot« mildern, und es gelang dadurch immerhin, »bis zur neuen Ernte leben zu können«.¹⁹ Die Aussage Graf Czernins, es seien »Millionen von Menschen« durch die Lieferungen aus der Ukraine »vor dem Hungertode«²⁰ gerettet worden, scheint allerdings eine Übertreibung darzustellen.

»Erste Etappe« im Osten

Hinter den Kulissen lief währenddessen die Debatte über die Zukunft der Ukraine auf Hochtouren. Zu einer Zeit, im Sommer und Herbst 1918, als sich die bevorstehende militärische Niederlage der Mittelmächte immer deutlicher abzeichnete, wurden hier noch Gedanken und Pläne entwickelt, wie die Ukraine nach dem Krieg als »deutsches Interessengebiet« organisiert werden könnte.²¹ Manches davon erinnert in seiner vollständigen Realitätsblindheit an die Planungen der Nazis für ein »Großdeutschland« im Zweiten Weltkrieg, als der Sieg der Alliierten längst beschlossene Sache war. So schrieb der Leiter der »Zentralen Einkaufsgesellschaft« in Kiew, Hugo Lindemann, am 27. September 1918 an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Hilmar Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen: »Man muss also das ganze Gebiet hier nicht vom heutigen, sondern mehr von einem zukünftigen Gesichtspunkt betrachten. Dies auch deshalb, weil ja der ganzen politischen Lage nach der Osten für uns nach dem Kriege das einzige Gebiet sein wird, in dem die deutsche Volkswirtschaft sich ohne größere Hemmungen wird betätigen können, und zu diesem Osten bildet doch heute die Ukraine für uns die erste Etappe. Ihr Ausbau ist also, wenn auch die praktischen Resultate nicht sofort greifbar werden, auf jeden Fall weiter zu fördern.«²² Die bereits weiter oben zitierten Auszüge aus der Rede des Generalleutnants Wilhelm Groener vom September/Oktober 1918 weisen in die gleiche Richtung.

Am Ende stand der Abzug der deutschen und österreichischen Truppen. Die letzten deutschen Einheiten verließen im März 1919 eilig die �Ukraine. Drei Monate zuvor hatten bereits die Einheiten der Habsburgermonarchie das Weite gesucht. Häufig nahmen die Soldaten ihr Schicksal in die eigene Hand und warteten nicht die Befehle zum »geordneten« Rückzug ab. Zuvor war der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn²³ und den Alliierten am 3. November 1918 (Waffenstillstand von Villa Giusti bei Padua) bzw. dem Deutschen Kaiserreich und den Alliierten am 11. November 1918 (Waffenstillstand von Compiègne) unterzeichnet worden. Welch ein Kontrast zu den großdimensionierten Postulaten eines »Gastkommentars«, den Eugen Lewinsky, Mitglied des österreichischen Abgeordnetenhauses, am 1. Oktober 1914 auf der Titelseite des Berliner Tageblatts formuliert hatte, den angeblich bevorstehenden Sieg der Mittelmächte vor Augen: »Das moskowitische Russland muss vom Schwarzen Meer zurückgedrängt und zwischen Russland und dem Balkan in den Gebieten der Ukraine ein Riegel eingeschoben werden. Wird Russland durch die selbständige Ukraine wie durch einen Keil von Südeuropa getrennt, so wird es seine ganze Aufmerksamkeit sich selbst und seinen Besitzungen in Asien zuwenden.« Und weiter: »Es gilt, eigenes Kapital und eigenes Material an Arbeitskräften in ein fremdes Land zu übertragen, um daselbst das eigene Kapital nutzbringend zu verwenden und den Absatz und die Verwertung heimischer Produkte sicherzustellen. Welche Vorzüge und welch gute Aussichten sich eben für eine derartige Tätigkeit in der unabhängigen Ukraine für die angrenzende Donaumonarchie und das verbündete Deutschland erschließen, braucht nicht erst erörtert zu werden.«²⁴

Die Voraussetzungen, diese abenteuerlichen Pläne mit Leben erfüllen zu können, waren im November 1918 durch die Niederlage der Mittelmächte und die revolutionären Ereignisse in Deutschland und Österreich vollkommen gegenstandslos geworden. Der deutsche Imperialismus, seine politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten, erwiesen sich jedoch als wenig lernfähig. 1939 bzw. 1941 starteten sie erneut den Versuch eines »Griffs nach der Weltmacht«, wobei auch dieses Mal der Ukraine eine wichtige Rolle zufiel. Die Resultate sollten für Europa und die Welt allerdings noch weitaus verheerender werden als 1918.

Anmerkungen:

1 Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. München 2010, S. 379

2 Siehe Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918. Wien/u. a. 2013, S. 879 ff., bes. 896 ff. u. Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1967 (Sonderausgabe), S. 415 ff.

3 Nebelin, a. a. O., S. 379

4 Siehe C. H. Baer (Hg.): Der Völkerkrieg. Eine Chronik der Ereignisse seit dem 1. Juli 1914. 27. Band: Achtes und neuntes Kriegshalbjahr. Stuttgart 1922, S. 188 f., 204 ff. u. 258 ff. Die Ukraine hatte am 20. November 1917 ihre Unabhängigkeit proklamiert.

5 Siehe zur Person und zur Politik Skoropadskijs sein Tagebuch, das plastische Einblicke in die damalige politische Situation gestattet: Pavlo Skoropadskyj: Erinnerungen 1917 bis 1918. Herausgegeben und bearbeitet von Günter Rosenfeld. Stuttgart 1999, bes. S. 131 ff.

6 Siehe zur Rolle dieses Generals im »Dritten Reich«: Unterredung mit General der Infanterie Alfred Krauß, in: Völkischer Beobachter, Nr. 155, 4.6.1938, wo er u. a. ausführte: »Ich halte ihn (gemeint: Adolf Hitler, R. Z.) für einen der größten Deutschen aller Zeiten; als Politiker mit dem Blick auf das ganze deutsche Volkstum konnte ich daher nur ein Ziel verfolgen, ihm nach meinen Kräften den Boden zu bereiten. Mein Weg zum Führer war ein zwangsläufiger aus meiner inneren Stellung zum deutschen Volk.« Nach dem Ersten Weltkrieg war Krauß Mitglied der Hauptleitung des Alldeutschen Verbandes geworden.

7 Alfred Krauß: Die Ursachen unserer Niederlage. Erinnerungen und Urteile aus dem Weltkrieg. München 1920, S. 256

8 Winfried Baumgart (Hg.): Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen von Alfons Paquet, Wilhelm Groener u. Albert Hopmann März bis November 1918. Göttingen 1971, S. 426, 427, 429, 430, 431 u. 432. Die Rede, aus der diese Zitate stammen, ist nicht auf den Tag genau zu datieren. Groener hat die Niederschrift seiner Ausführungen maschinenschriftlich, wahrscheinlich nach einem handschriftlichen Manuskript oder Stenogramm, am 13. Oktober 1918 angefertigt.

9 Siehe Rauchensteiner, a.a.O., S. 917 f.

10 Siehe Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkrieges. München 2014, S. 824

11 Siehe Peter Borowsky: Deutsche Ukrainepolitik 1918 unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsfragen. Lübeck/Hamburg 1970, S. 107

12 Siehe ebd., S. 39 f., und die Materialien in: Bundesarchiv Berlin (im folgenden: BArch), R 8048/644

13 Siehe z. B. Die Ukraine und der Krieg. Denkschrift des Bundes zur Befreiung der Ukraine. J. F. Lehmann's, München 1915 (ein Exem�plar dieser Denkschrift befindet sich in der Bibliothek des Zentrums für Sozialwissenschaften und Militärgeschichte der Bundeswehr in Potsdam). Zum Programm dieses Bundes siehe BArch, R 8048/644, Bl. 51 ff.

14 Siehe Wolfram Dornik: Die Besatzung der Ukraine 1918 durch österreichisch-ungarische Truppen, in: ders. u. Stefan Karner (Hg.).: Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext – Forschungsstand – wirtschaftliche und soziale Folgen. Graz/u. a. 2008, S. 141 ff., bes. 161 ff., sowie Tamara Scheer: Zwischen Front und Heimat. Österreichisch-Ungarische Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg. Frankfurt am Main u. a. 2009, S. 49 ff.

15 Krauß, a.a.O., S. 259

16 Hans Tintrup: Krieg in der Ukraine. Aufzeichnungen eines deutschen Offiziers. Essen 1938, S. 18f. Siehe auch ebenda, S. 15 u. 26

17 Krauß, a.a.O., S. 258 ff. Nach der Auffassung des österreichischen Generals waren »fast alle Vereinbarungen in der Ukraine zum einseitigen Vorteil der Deutschen getroffen worden« (S. 258). Siehe auch Rauchensteiner, a.a.O., S. 916.

18 Siehe Ottokar Czernin: Im Weltkriege, Berlin 1919, S. 338 ff. Statistische Angaben: S. 345 f.

19 Ebd., S. 338

20 Ebd., S. 339

21 Zum Folgenden siehe Borowsky, a.a.O., S. 166 ff. u. 231 ff. u. Hans Mommsen: Aufstieg und Untergang der Weimarer Republik 1918–1933. 2. Ausgabe. München 2001, S. 20 ff.

22 Zitiert nach Borowsky, a.a.O., S. 270

23 Siehe Rauchensteiner, a.a.O., S. 1043 ff.

24 Dr. Eugen Lewinsky: Die Verdrängung Russlands vom Schwarzen Meer, in: Berliner Tageblatt, Nr. 498, Morgenausgabe, 1.10.1914, S. 1 f., hier: S. 2

Quelle: junge Welt
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Bastian Gruber
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