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🔥 STAATEN ZERSCHLAGEN Weiße Flecken

Begonnen von Bastian, 26. März 2023, 13:03:41

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Bastian

🔥 STAATEN ZERSCHLAGEN
Weiße Flecken

Die Grünen, Jugoslawien, die Ukraine und einige verblüffende Analogien in der Entstehungsgeschichte von zwei Kriegen


Bearbeitung der Öffentlichkeit mittels Lügen. Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) hatten seinerzeit »starke Hinweise« (Die Welt) für serbische Konzentrationslager im Kosovo (Scharping im Bonner Bundestag, 15.4.1999)

Kurz vor dem 25. Februar, dem Tag der beeindruckenden Friedenskundgebung am Brandenburger Tor, veröffentlichte Antje Vollmer einen bemerkenswerten Text. Die Berliner Zeitung druckte ihn als »Vermächtnis einer Pazifistin« (23.2.2023). Mit Vollmer, die auch zu den Erstunterzeichnerinnen des Wagenknecht-Schwarzer-Manifests gehört, setzte sich endlich auch eine Persönlichkeit aus dem grünen Spektrum kritisch mit der verstörenden Rolle ihrer ansonsten so sonderbar monolithisch wirkenden Partei im Ukraine-Krieg auseinander.¹

Die evangelische Theologin gehörte hierzulande zur Politelite. Sie saß bereits seit dem erstmaligen Einzug der Grünen 1983 im Bundestag, war Vorstandssprecherin, versuchte gegen Ende des Jahrzehnts zentristisch – übrigens gemeinsam mit ihrem damaligen Büroleiter, dem Ostlandritter Ralf Fücks, der heute die mit Steuermitteln aufgepäppelte Stiftung »Zentrum Liberale Moderne« betreibt – die gegeneinander schlagenden Flügel von Fundis und Realos zu synchronisieren und fungierte schließlich lange Jahre als Bundestagsvizepräsidentin (1994–2005).

In ihrer Abrechnung mit den Grünen geht sie zudem auf die ihrer Meinung nach »verschenkten Chancen« des Westens nach dem Ende der Bipolarität ein und hebt besonders die Jugoslawien-Politik und deren Folgen hervor. Damit erinnert sie an ein immer noch und heute speziell unerwünschtes Thema: Mit der Beseitigung des blockfreien Staates, der »sich rechtzeitig vom Stalinismus gelöst und die jahrhundertealten nationalen Rivalitäten aus der Zeit der Donaumonarchie einigermaßen befriedet« hatte, sei die Wende zu einem partnerschaftlichen Europa verpasst worden, inklusive des Erhalts von Jugoslawien »als Ganzem«, so ihre These. Mit einer Ausleuchtung der Gründe hierfür tut sie sich allerdings schwer.

Der 24. März 1999

Am Abend des 24. März 1999, exakt um 20 Uhr MEZ, drangen Kampfflugzeuge der NATO in den Luftraum der Bundesrepublik Jugoslawien ein, unter ihnen auch vier »Tornados ECR« der Bundeswehr – Radaraufklärer. Den Deutschen fiel die militärlogistisch bedeutende Aufgabe zu, das Flugabwehrsystem der jugoslawischen Armee auszuschalten und so den Weg für die nachfolgenden Kampfjets freizumachen. NATO-Tarnkappenbomber feuerten Raketen auf die abendliche »Weiße Stadt« an Donau und Save – und die verängstigten Menschen flohen, wenn sie konnten, wie ihre Vorfahren seit dem 6. April 1941, in Bunker und Keller. Damals hatte die Hitlerwehrmacht, unterstützt von italienischen, bulgarischen und ungarischen Verbänden, mit 484 Bombern und Stukas sowie 250 Jagdflugzeugen ohne Kriegserklärung angegriffen. Jugoslawien wurde besetzt, nach der bedingungslosen Kapitulation am 17. April zerschlagen und in zehn Teile zerlegt. Kroatien hatte sich bereits zwei Tage vorher zum »Unabhängigen Staat Kroatien« erklärt.

1999 ließ Gerhard Schröder, Kanzler einer SPD-Grünen-Koalition, an jenem fatalen 24. März vom Bundespresseamt eine kurze Erklärung verbreiten. Die deutsche Regierung, beteuerte er darin, habe »sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht, schließlich stehen zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkrieges deutsche Soldaten im Kampfeinsatz«. Dort, wo die Naziwehrmacht einst gewütet hatte, wo 1,7 Millionen Jugoslawen während der Okkupationsjahre von 1941 bis 1944 getötet, wo Konzentrationslager errichtet und
Hunderttausende deportiert worden waren, mordeten nun wieder deutsche Soldaten mit Waffen aus deutscher Produktion.

Dieser 24. März 1999 als militaristischer Wendetag der BRD zu kriegerischen Einsätzen »out of area« unter Bruch des Grundgesetzes und des Völkerrechts scheint inzwischen aus dem hiesigen kollektiven Gedächtnis gestrichen. Er spielt beim Blick auf den seit etwa zehn Jahren anhaltenden Ukraine-Konflikt und den Kriegszustand, in dem sich das Land nicht erst seit der russischen Invasion im Februar 2022 befindet, keine Rolle. Ein weißer Fleck im Geschichtsbuch, ausradiert; das schreckliche Finale zur Beseitigung des ehemals sozialistischen Vielvölkerstaats.

Diese tragischen Ereignisse bleiben in der aktuellen Ukraine-Krise weitgehend ausgeblendet aus einem notwendigen gesellschaftlichen Diskurs um Kriegsschuld und Entstehungsgeschichte. Er findet, obwohl längst überfällig, nicht statt, scheint gar von geheimnisvollen Kräften aus Regierungskreisen und Zeitungshäusern wie weggezaubert. Im Rückblick betrachtet nahmen dabei die Medien eine vergleichbare, durch und durch manipulative und treibende Rolle ein.

Diesbezüglich beschäftigte sich 2016 Kurt Gritsch, Zeithistoriker und Konfliktforscher aus der Schweiz, mit der Berichterstattung von FAZ, Süddeutscher Zeitung, Zeit, Spiegel und Taz vom Krisenjahr 1998 bis vor Kriegsbeginn im März 1999 punktuell unter anderem zu den Verhandlungen in Rambouillet über einen Friedensvertrag sowie zur Debatte in deren Feuilletons vom 24. März bis zum 10. Juni 1999.² Auffallend sei gewesen, so Gritsch, »dass die fünf untersuchten Zeitungen zu keinem Zeitpunkt deeskalierend berichtet haben, wie dies beispielsweise die UNESCO-Mediendeklaration von 1978 verlangt, sondern statt dessen ein militärisches Eingreifen der NATO forderten«.

Serben = Nazis

Dazu wurde offenbar sehr gezielt ein jugoslawisch-serbisches Feindbild aufgebaut, indem man an das negative Jugoslawien-Bild aus dem »Bosnien-Krieg« (1992–1995) anknüpfte. Belgrad habe mit »ethnischen Säuberungen« im Kosovo begonnen, und der »von der PR-Agentur Ruder Finn bereits 1992 lancierte Vergleich Serben = Nazis aus dem Bosnien-Krieg« sei reaktiviert worden, »der schließlich in der Analogie Milosevic = Hitler kulminierte. Er wurde dann vor allem 1999 während der Luftangriffe verwendet«, so Gritsch im Interview mit den Nachdenkseiten (26.4.2016). Heute wird der russische Präsident Wladimir Putin als »Tyrann« (Spiegel) abgebildet, und auch der Charakter der Verträge, die den Kriegen in Jugoslawien und der Ukraine jeweils vorausgingen, ähneln sich.

Dabei diente das – für die jugoslawische Seite ultimative – Rambouillet-Diktat zuallererst zur Täuschung der Öffentlichkeit sowie zur Ruhigstellung skeptischer westlicher Entscheidungsträger bis hinein in die Spitzen der Regierungen. »Der militärische Teil des Vertragsentwurfs läuft auf ein Besatzungsstatut für ganz Jugoslawien hinaus«, kommentierte Bettina Gaus in der Taz (6.4.1999). Der in der Öffentlichkeit verbreitete Eindruck, »allein die Sturheit des serbischen Präsidenten Milosevic habe eine Einigung verhindert«, sei falsch. Gaus: »Ein Abkommen wie dieses kann kein Oberhaupt eines souveränen Staates unterschreiben.«

Binnen dreieinhalb Stunden sollte die jugoslawische Regierung, wie ihr Verhandlungsführer Ratko Markovic 2005 im Schauprozess gegen Milosevic in Den Haag aussagte, Bedingungen zustimmen, die die Bundesrepublik Jugoslawien zum Protektorat gemacht hätten: Unter anderem hätte sich die NATO-geführte Kfor-Truppe in ganz (Rest-)Jugoslawien »völlig uneingeschränkt bewegen« – inklusive der Kontrolle des Luftraums und der See – sowie das Territorium für Manöver, Training und andere Operationen nutzen können sollen. Den westlichen Truppen sollte zudem völlige Immunität und die kostenlose Nutzung der jugoslawischen Infrastruktur zugestanden werden.

Rambouillet ähnelte funktional der im Dezember 2022 von Angela Merkel so lapidar wie freimütig offengelegten Rolle des »Minsk II«-Vertrages, im westlichen Kalkül als Mittel eingesetzt, Zeit zu schinden, um die Ukraine aus- und aufzurüsten. Beide Verträge stellten sich letztlich, wenn auch weiterhin von offizieller Seite nicht zugegeben, als Blendwerk heraus. Damit wird der Wille zur Konfliktbeilegung durch Verhandlungen vorgegaukelt, dahinter verbirgt sich jedoch eine kalkulierte Eskalationsstrategie unter Inkaufnahme eines Krieges. Der für die Zuspitzung in Jugoslawien wie der Ukraine ursächliche Faktor, dass nämlich die NATO in Richtung Balkan und Osten expandieren will, schließt eine vernunftgesteuerte Kompromissbereitschaft weitgehend aus oder lässt sie lediglich situationsbedingt zu. Das Thema ist folglich tabu oder gedeckelt, zumal die Vorgeschichten der Kriege weitere unerwünschte Vergleiche offenbaren.

Tatsächlich – und entgegen der voreiligen Beerdigung der NATO durch Emmanuel Macron
im Jahr 2019 (»Hirntod«) und Donald Trumps »America First«-Gebot – rückte die NATO seit
dem Beitritt der DDR zur BRD bis zur polnischen Grenze vor. Die NATO-Ostgrenze verschob sich dann vor allem im Zuge der Jugoslawien-Kriege stetig. 14 der inzwischen 30 Mitglieder der Organisation traten ab 1999 bei, weitere stehen auf der Anwärterliste. Die Ukraine erhob 2019 den Beitritt zum Verfassungspostulat.

Alle hätten sich frei dafür entschieden, heißt es heute, die NATO sei kein aggressives Militärbündnis, so die beiden am häufigsten vorgebrachten Rechtfertigungen, wenn das Thema doch einmal zur Sprache kommt. Jedoch besitzt diese Argumentation angesichts des nicht nur empirisch ausreichend belegten imperialistischen Charakters des Militärbündnisses wenig Substanz. Historische Vereinbarungen, festgehalten zum Beispiel in den Gesprächsprotokollen zur »deutschen Einheit«, die eine – wenn auch nicht vertraglich fixierte – Osterweiterung eindeutig ausschließen, wurden gebrochen. Zudem entscheidet die Kriegsallianz selbst darüber, wen sie auf welche Weise in ihre geostrategischen Konzepte, die sich inzwischen immer stärker gegen Russland und China richten, einpassen will. Dazu gehörte an sich auch die Überlegung, wessen – wie im Fall Russland und Belarus – nachbarliche Interessen zu achten wären.

Die Frage, warum die Präsidenten und Regierungschefs des Westens inklusive der Ukraine Putin keine handfesten Sicherheitsgarantien – wie eine ukrainische Neutralität oder Nicht-NATO-Mitgliedschaft – im zeitlich weiten Vorfeld des 24. Februar 2022 geben wollten und sich zudem in Sachen »Minsk II« nicht einen Millimeter bewegten, wurde bisher noch nicht einmal ernsthaft gestellt, geschweige denn von den westlichen Staatenlenkern beantwortet.

Krajina und Ukrajina

Die Vokabeln »Krajina« und »Ukrajina« stammen aus dem Slawischen und bedeuten soviel wie Grenzgebiet oder Rand. Mit den Kämpfen um die serbisch besiedelten Gebiete an der innerjugoslawischen Grenze zwischen Kroatien und Serbien im Norden um Vukovar und zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien im Süden begannen die Kriege um Jugoslawien zwischen 1991 und 1999. Nach Bildung des neuen Staats »Republik Kroatien« mit altem Ustascha-Wappen war dann übrigens in Deutschland das in Vukovar/Krajina 1945 von den jugoslawischen Partisanen enteignete deutsch-kroatische Adelshaus Eltz zuständig für den Umtausch jugoslawischer in kroatische Pässe. Großgrundbesitzer Johann Jakob Graf zu Eltz – seine Burg Eltz zierte damals die Rückseite des 500-DM-Scheins – saß ab 1992 als Abgeordneter im Zagreber Parlament.

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien hätte erhalten werden können, meint Antje Vollmer, wenn, ja wenn »man« nicht »dem nationalen Drängen der Slowenen und Kroaten zu schnell« nachgegeben und »das neue Feindbild der aggressiven Serben« gepflegt hätte, und führt die fatalen Konsequenzen der zuvorderst von Deutschland betriebenen Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas vor Augen: »Der bosnische Bürgerkrieg, Srebrenica, die Zerstörung Sarajevos, Hunderttausende Tote und traumatisierte Menschen, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen Belgrad, die völkerrechtswidrige Anerkennung des Kosovo als selbständiger Staat, das vielfältige Aufbäumen von neuen nationalen Chauvinismen wären vermeidbar gewesen.«

Dass genannte Katastrophen zuvorderst von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genschers Avantgardepolitik zur Anerkennung der nordjugoslawischen Republiken befördert wurde, klammert Vollmer leider aus. Sie meint, es habe 1989 »Visionen« für eine dringend gebotene »neue Friedensordnung« gegeben, unter anderem vertreten von Michail Gorbatschow, auch von Kohl und Genscher. »Aber es gab keinen Plan, kein Konzept, die Vision war einfach zu undeutlich.« Auch habe es an »Weisheit« gemangelt, meint sie etwas naiv angesichts der politischen Strategie des Westens, Jugoslawien zu zerschlagen, um es zu beherrschen.

IWF-Schocktherapie

Spätestens mit dem sich zu Beginn der 1980er Jahre abzeichnenden innerjugoslawischen Nord-Süd-Konflikt, mit der ökonomischen Krisenlage und den hohen Darlehen für Belgrad von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank reifte das – latent vorhandene – Vorhaben revanchistischer Kreise, Jugoslawien erneut zu zerstückeln. Das vollzog sich im zeitlichen Zusammenhang mit der wachsenden Labilität des europäischen Realsozialismus. Der IWF legte Belgrad schließlich – wie zuvor und bis heute in den Ländern des globalen Südens oder, im Zusammenspiel mit der EU, vor einigen Jahren Athen – ökonomische Daumenschrauben an in Form von restriktiven Auflagen.

Das musste zu innenpolitischen Turbulenzen führen. Als der IWF 1987, so Criton Zoakos vom Wirtschaftsforschungsinstitut Leto (zitiert nach wsws.org), die jugoslawische Wirtschaft kaperte, sei Jugoslawien »immer noch ein funktionierender Staat« gewesen. Doch führte die Institution »eine Reihe von (inzwischen) allzu bekannten Schocktherapien ein: Abwertung der Währung, Einfrieren der Löhne und Abbau der Preiskontrollen; – nach den ökonomischen Lehrbuchregeln von Harvard/MIT« sollte die Lohnrate gedrückt werden, die Inflation stieg ins Unermessliche.

Die Wirtschaft wie auch die Einnahmequellen der Zentralregierung schrumpften, die Steuern wurden erhöht, um den Haushalt auszugleichen, die geweckten »zentrifugalen Kräfte« entwickelten sich schnell und drohten alsbald, die Föderation zu zerreißen, »weil die reicheren Provinzen Kroatien und Slowenien sich weigerten, mit ihren Ressourcen die ärmeren Provinzen zu finanzieren. Jugoslawien zerfiel, als ethnische und religiöse Rivalitäten benutzt wurden, um die Kontrolle über einen möglichst großen Teil der schrumpfenden Mittel zu sichern.« Trotzdem habe sich »das multiethnische Bewusstsein« noch eine Zeitlang gehalten. Zu »ethnischen Säuberungen« kam es schließlich, als der »Katastrophenkapitalismus«, wie die Autorin Naomi Klein das gezielte Vorgehen nannte, bereits wirkte.

Zu privatisieren oder zu sterben sei die Alternative gewesen, sagt ein ehemaliger IWF-Mitarbeiter. »... zu verschuldet, um Bedingungen ablehnen zu können, an die Auslandskredite geknüpft waren, akzeptierten die Regierungen eine ›Schockbehandlung‹, die ihnen versprach, vor einer noch schlimmeren Katastrophe bewahrt zu werden«. Die in Ljubljana tätige Privatdozentin und Autorin Tanja Petrovic spricht von »Deindustrialisierung sowie undurchsichtigen und oft gewaltsamen Privatisierungen der ausgelaugten postjugoslawischen Gesellschaften« (Aus Politik und Zeitgeschichte, 29.9.2017).

Die jugoslawische Krise ist folglich nicht Ergebnis des künstlich angeheizten ethnischen Hasses, sondern umgekehrt der Moderation der Krise durch IWF und Weltbank, unterstützt und gefördert insbesondere auch von der westdeutschen Politik der Zerstückelung des Landes mit Außenminister Genscher als Schlachtmeister. Sowohl die Abtrennung des Nordens – Slowenien und Kroatien inklusive der überwiegend serbisch besiedelten Krajina in der ehemaligen Sozialistischen Republik Kroatien – als auch der fürchterliche bosnische Krieg (1992–1995) sind zu einem Großteil dem Eingreifen des Westens geschuldet – und das nicht nur politisch und ökonomisch: Trotz des Verbots, Waffen nach Jugoslawien zu exportieren, wurden die separatistischen Truppen auch aus Beständen der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR auf dem Weg über Ungarn in der Krajina versorgt, westliche Legionäre und Faschisten kämpften in Kroatien, Mudschaheddin in Bosnien.

»Die NATO-Angriffe auf Belgrad im Jahr 1999 schufen die Voraussetzungen für rasche Privatisierungen im ehemaligen Jugoslawien – ein Ziel, das schon vor dem Krieg feststand. Keiner dieser Kriege war allein wirtschaftlich motiviert, aber in jedem dieser Fälle wurde ein großer kollektiver Schock dazu genutzt, der wirtschaftlichen Schocktherapie den Boden zu bereiten.«³

Zwei Jahre später, am 1. April 2001, wurde Slobodan Milosevic, Mitbegründer der aus dem Bund der Kommunisten hervorgegangenen Sozialistischen Partei Serbiens, unter Einsatz von 400 Polizisten gefangengenommen. »Der Haftbefehl wegen Veruntreuung war nur vorgeschoben«, konstatierte die Welt am 20. Jahrestag des Willkürakts. »In Wirklichkeit ging es um ein Ultimatum, das die westlichen Nationen gestellt hatten. Die Forderung: Milosevic müsse ausgeliefert werden, um ihn wegen Verbrechen gegen die Menschheit in Den Haag anklagen zu können. Sollte die nach Milosevic' Sturz amtierende neue Regierung dem nicht nachkommen, so werde die bereitstehende Wirtschaftshilfe an Serbien nicht ausgezahlt« (Die Welt, 1.4.2021).

Slobodan Milosevic starb am 11. März 2006 im Haager Gefängnis wegen verweigerter Herzbehandlung. Am Ende steht ein Mord.

Vollmer und die Grünen

Der NATO-Angriff auf Jugoslawien wurde für Bündnis 90/Die Grünen noch einmal zu einer Zerreißprobe. Letztlich setzte sich Joseph Fischer auf einem Sonderparteitag in Bielefeld am 13. Mai 1999, Himmelfahrtstag, durch. Der »Realo«-Erfinder obsiegte mit 444 Stimmen gegen jene 318, die sich hinter der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand versammelt hatten.

Es heißt, dass Vollmer »Gegnerin des Kosovo-, Irak- und Afghanistan-Krieges« (Berliner Zeitung) gewesen sei. Vielleicht war sie das, doch lässt es sich zumindest an ihrem Abstimmungsverhalten zu Jugoslawien und Afghanistan im Bundestag nicht so recht nachvollziehen. Letztlich votierte sie, sicherlich mit Skepsis und vielleicht zähneknirschend, im Oktober 1998 für eine deutsche Beteiligung an einem NATO-»Einsatz« in Jugoslawien sowie im November 2001 bei dem an Schröders Vertrauensfrage gekoppelten Beschluss für Bundeswehr-Truppen am Hindukusch.

In einer persönlichen Erklärung dazu gab sie zu Protokoll, sie stimme mit Ja, um das »rot-grüne Regierungsprojekt« zu erhalten. Trotzdem sehe sie sich in einer »Reihe von Abgeordneten, die wie ich den Terrorismus militärisch für nicht besiegbar halten oder Kritik an der ›Operation Enduring Freedom‹ haben«. Bezüglich des Irak-Kriegs von USA und Großbritannien ab 2003 schloss sich dann Fischer wiederum dem Nein Schröders zu einer offiziellen Beteiligung an, wenn auch mit Bauchschmerzen. Dem Libyen-Luftkrieg 2011 hätte er aber unbedingt zugestimmt und sich nicht – wie Guido Westerwelle, sein Nachfolger als Außenminister – im UN-Sicherheitsrat enthalten.

Derweil führte Claudia Benedikta Roth, die 1999 noch für einen Waffenstillstand in Jugoslawien eingetreten war, nach der Ermordung Muammar Al-Ghaddafis Freudentänze in den Straßen von Bengasi auf. Als Kulturstaatsministerin plädiert sie 2023 für ein Verbot der Konzerte des Kriegsgegners Roger Waters. Grüne Antikriegspolitik ist bis an die Zähne bewaffnet, die Kritik ist verstummt, man befindet sich im »Krieg mit Russland« (Annalena Baerbock). Fischers und Baerbocks Positionen ähneln sich auch darin, dass sie ob ihrer Irrationalität schwer nachvollziehbar sind. Sie lassen folglich viel Raum für Spekulationen bezüglich der Motive.

Im Wahlkampf 2021 hielten die beiden, der Ex und die Zukünftige, eine Kundgebung an der Frankfurter Oderbrücke zu Polen ab, und Fischer kritisierte dabei »mit Blick auf die Ukraine oder Belarus« (dpa) die EU. Sie habe »die Osterweiterung nicht wirklich genutzt«. Er denke, »darunter leiden wir bis heute«. Aktuell arbeitet Baerbock gemeinsam mit Ursula von der Leyen fleißig an einer Verringerung des von Fischer beklagten Leids.

Antje Vollmers »Vermächtnis« setzt sich weniger mit Fischer und dessen Einfluss, aber namentlich immerhin mit Robert Habeck und Annalena Baerbock auseinander. »Der deutsche Wirtschaftsminister bemüht sich, die alten Abhängigkeiten von Russland und China durch neue Abhängigkeiten zu Staaten zu ersetzen, die keineswegs als Musterdemokratien durchgehen können. Die Außenministerin ist die schrillste Trompete der neuen antagonistischen NATO-Strategie.« Deren »Begründungen« verblüfften durch »argumentative Schlichtheit«.

»Dabei wachsen die Rüstungskosten und der Einfluss der Rüstungs- und Energiekonzerne ins Unermessliche. Der Krieg verschlingt sinnlos die Milliarden, die für die Rettung des Planeten und gegen die Armut des globalen Südens dringend gebraucht würden. Das aufsteigende China aber wird propagandistisch als neuer geopolitischer Gegner ausgemacht und in der Taiwan-Frage ständig provoziert.«

Keine guten Aussichten

Das seien »keine guten Auspizien«, schreibt sie und konstatiert selbstkritisch, dass »gerade meine Partei« einmal »alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt« gehabt hätte. Dass diese nicht benutzt worden seien, wertete sie auch als ihre »ganz persönliche Niederlage«, die sie »die letzten Tage begleiten« werde.

Vollmer erwähnt zudem die sonderbaren DDR-Oppositionellen als inzwischen aggressive Befürworter von immer mehr Waffen für die Ukraine, namentlich Marianne Birthler, Joachim Gauck, Katrin Göring-Eckardt, »dieser Teil der Bürgerrechtler«, der »heute zu den eifrigsten Kronzeugen eines billigen antirussischen Ressentiments zählt«. Dabei sei deren »Widerstand und der Heldenmut« in der DDR doch »durchaus maßvoll« gewesen und habe »den Grad überlebenstüchtiger Anpassung nicht wesentlich« überschritten, stellt sie mit leicht ironischem Unterton fest. »Manche Selbstbeschreibungen lesen sich allerdings heute wie Hochstapelei.«

Die Frage indes, was die heutige Partei verführe, ursprüngliche Ideale »aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen«, versieht sie mit einem Fragezeichen. Aber das ist ja auch trotz mancher Hinweise immer noch ein zu weites, geheimnisvolles Feld.

Antje Vollmer starb nach schwerer Krankheit am 15. März 2023. »Zuletzt unterstützte sie die umstrittene Initiative zum Ukraine-Krieg von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht«, bemerkt der Spiegel in seinem Nachruf.


Anmerkungen

1 Antje Vollmers Vermächtnis einer Pazifistin: »Was ich noch zu sagen hätte« (Berliner Zeitung, 23.2.2023)

2 Kurt Gritsch: Krieg um Kosovo. Geschichte, Hintergründe, Folgen. Innsbruck 2016

3 Naomi Klein: Die Schockstrategie. Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus. Frankfurt am Main 2007, S. 22

Quelle: junge Welt
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Bastian Gruber
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